Leitsatz
Stellt sich nach Erlass eines aufgrund einer Prognoseentscheidung der Familienkasse ergang- enen Aufhebungsbescheids heraus, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG nicht überschreiten, ist nach § 70 Abs. 4 EStG trotz der Bestandskraft dieses Bescheids eine rückwirkende Änderung möglich.
Sachverhalt
Die Tochter des Klägers befand sich vom 1. 12. 2000 bis 31. 1. 2003 in Ausbildung. Die Familienkasse hat mit Bescheid vom 3. 9. 2002 im Rahmen einer Prognoseentscheidung eine voraussichtliche Überschreitung der Einkommensgrenze für das Jahr 2002 festgestellt und die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2002 aufgehoben. Am 21. 7. 2005 teilte der Kläger unter Hinweis auf den Beschluss des BVerfG vom 11. 1. 2005 (BVerfG, Beschluss v. 11.1.2005, 2 BvR 167/02, BFH/NV Beilage 2005 S. 260) mit, dass nach Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge die Einkünfte der Tochter den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG nicht mehr übersteigen. Da der Beschluss des BVerfG nur auf offene Fälle anzuwenden sei, hat die Familienkasse die nachträgliche Gewährung von Kindergeld für das Jahr 2002 abgelehnt.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG hindert die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids vom 3. 9. 2002 die Kindergeldgewährung nicht, da § 70 Abs. 4 EStG eine entsprechende Korrektur ermöglicht. Nach dieser Vorschrift ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschreiten. Der Auffassung der Familienkasse, wonach § 70 Abs. 4 EStG deshalb nicht zum Zuge komme, weil die aufgrund des BVerfG-Beschlusses geänderte Rechtsauffassung bezüglich der Behandlung der Sozialversicherungsbeiträge kein nachträgliches Bekannt werden im Sinne des § 70 Abs. 4 EStG darstelle, ist das Finanzgericht nicht gefolgt, weil der Familienkasse die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge erst nach Ablauf des Jahres 2002, und damit zwangsläufig nachträglich bekannt geworden ist. Damit eröffnet § 70 Abs. 4 EStG stets eine Berichtigungsmöglichkeit, soweit die abschließende Überprüfung nach Ablauf des Jahres ein über- oder unterschreiten des Grenzbetrages abweichend von der Prognoseentscheidung ergibt.
Hinweis
Die wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zugelassene Revision ist inzwischen unter dem Az. III R 6/06 anhängig. In einem weiteren Urteil hat das FG Düsseldorf mit Urteil vom 17. 1. 2006 (Az. 14 K 4361/05 Kg) die gleiche Entscheidung getroffen. Auch gegen dieses Urteil wurde inzwischen Revision eingelegt (Az. III R 9/06). Die vorstehenden Urteile sind insofern von erheblicher praktischer Bedeutung, als die Familienkassen noch an die anders lautenden Anwei- sungen des Bundesamtes für Finanzen vom 17. 6. 2005 gebunden sind. Danach ist die Korrektur bestandskräftiger Kindergeldfestsetzungen nach § 70 Abs. 4 EStG aufgrund des Beschlusses des BVerfG grundsätzlich nicht möglich.
Link zur Entscheidung
FG Düsseldorf, Urteil vom 12.01.2006, 14 K 4078/05 Kg