Dipl.-Finw. (FH) Helmut Lehr
Leitsatz
Ein Unternehmer, der nur steuerfreie Umsätze erzielt, ist grundsätzlich zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung verpflichtet. Daher wird die Festsetzungsfrist ggf. durch die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO"verlängert".
Sachverhalt
Der Kläger hatte das Eiscafé seines Vaters im Jahr 2013 übernommen und war in diesem Zusammenhang dem Mietvertrag, den seine Eltern gemeinschaftlich mit dem Vermieter geschlossen hatten, beigetreten. Offenbar sollte auf diese Weise eine Mieterhöhung vermieden werden. Das Finanzamt vertrat später die Auffassung, dass der Kläger aus dem ("optierten") Mietvertrag nur zu einem Drittel zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Wohl um diesen misslichen Umstand zu beseitigen, optierten die Eltern im Jahr 2019 in Bezug auf eine Untervermietung ihres Bruchteils aus der Anmietung der Räumlichkeiten zur Umsatzsteuer, und zwar rückwirkend für den Zeitraum von März 2013 bis Ende August 2018. Für diese Jahre gaben sie sodann Umsatzsteuererklärungen ab, in denen sie steuerpflichtige Umsätze aus der Untervermietung an ihren Sohn erklärten. Das Finanzamt vertrat allerdings die Auffassung, dass bezüglich der Untervermietung des Anteils der Mutter am Mietverhältnis betreffend die Jahre 2013 und 2014 kein Vorsteuerabzug in Betracht komme, da in Bezug auf die von der Mutter für diese Zeiträume eingereichten Jahreserklärungen bereits Verjährung eingetreten sei. Die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 AO greife vorliegend nicht, da bis zum Ende der allgemeinen Festsetzungsfrist mit Ablauf der Jahre 2017 (hinsichtlich 2013) und 2018 (hinsichtlich 2014) mangels eines Veranlagungstatbestands keine Steuererklärungspflicht bestanden habe.
Der Vater sei wegen des noch nicht abgeschlossenen Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nicht berechtigt gewesen, Umsatzsteuererklärungen abzugeben und bezüglich der Untervermietung an seinen Sohn zur Umsatzsteuer zu optieren. Dies obliege allein dem Insolvenzverwalter. Mangels wirksamer Option zur Umsatzsteuer komme daher auch insoweit kein Vorsteuerabzug in Betracht.
Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht hat zunächst das (Unter-)Mietverhältnis zwischen dem Kläger und seiner Mutter bestätigt. Im Anschluss daran hat es die Möglichkeit der nachträglichen Option der Mutter bejaht, da für die Streitjahre 2013 und 2014 die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war. Dies deshalb, weil insoweit die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO zu berücksichtigen sei, da eine Pflicht zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen auch dann bestehe, wenn ein Unternehmer ausschließlich steuerfreie Umsätze erzielt.
Hinweis
Beim vorliegenden Sachverhalt handelt es sich offenbar um eine Rettungsmaßnahme zur Erlangung des Vorsteuerabzugs. Das Finanzgericht hat zunächst nochmals klargestellt, dass bei gemeinsamer Anmietung von Geschäftsräumen durch eine Personenmehrheit der Vorsteuerabzug nur anteilig möglich ist, wenn nicht alle beteiligten "Mieter" das Objekt unternehmerisch nutzen. Nach Ansicht des Finanzgerichts ist es dann aber möglich, dass (einzelne) Mitmieter, die ihnen aus dem gemeinsamen Hauptmietvertrag zustehende Nutzungsbefugnis im Rahmen eines entgeltlichen Untermietverhältnisses überlassen.
Bezüglich der "Verjährungsfrage" ist die Literatur derzeit uneins. Es spricht jedoch einiges für die Auffassung des Finanzgerichts, da bereits die im Hauptsatz des § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG gewählte Formulierung "der Unternehmer hat für das Kalenderjahr ... eine Steuererklärung zu übermitteln" eine allgemeine Abgabepflicht nahelegt - selbst, wenn er nur steuerfreie Umsätze erzielen sollte. Abschließend wird dies nun aber (hoffentlich) der BFH im anhängigen Revisionsverfahren entscheiden, Az beim BFH V R 26/23.
Link zur Entscheidung
FG Düsseldorf, Urteil v. 22.09.2023, 5 K 2141/20 U