Leitsatz
Art. 31 EWR-Abkommen vom 02.05.1992 steht einer nationalen Steuerregelung nicht entgegen, nach der die Verluste einer Betriebsstätte, die in einem anderen Staat als dem Ansässigkeitsstaat ihres Stammhauses belegen ist, bei der Festsetzung der ESt des Stammhauses berücksichtigt werden können, später aber, sobald die Betriebsstätte Gewinne erwirtschaftet, steuerlich wieder hinzugerechnet werden müssen, wenn der Betriebsstättenstaat keinen Vortrag von Verlusten einer Betriebsstätte einer in einem anderen Staat ansässigen Gesellschaft zulässt und wenn nach einem zwischen den beiden betreffenden Staaten abgeschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Einkünfte einer solchen Einheit im Ansässigkeitsstaat ihres Stammhauses von der Steuer befreit sind.
Normenkette
§ 2a Abs. 3 EStG 1990, Art. 4 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1 DBA-Österreich 1954, Art. 31 EWR-Abkommen
Sachverhalt
Eine in Deutschland ansässige GmbH unterhielt von 1982 bis zum Streitjahr 1994 eine Betriebsstätte in Österreich. Bis einschließlich des Jahrs 1990 erzielte sie in dieser Betriebsstätte Verluste, welche für die Veranlagungszeiträume 1982 bis 1990 auf ihren Antrag vom FA gem. § 2 Abs. 1 AIG – bis 1989 (vgl. § 8 Abs. 5 S. 1 AIG) bzw. gem. § 2a Abs. 3 S. 1 EStG 1990 – ab 1990 (vgl. § 52 Abs. 2a EStG 1990), jeweils i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und Art. 15 Abs. 1 DBA Österreich 1954, mit den jeweiligen positiven inländischen Einkünften verrechnet wurden. Von 1991 bis 1994 erzielte die Klägerin in der Betriebsstätte Gewinne.
Das österreichische Steuerrecht kannte bis einschließlich 1988 keinen Verlustvortrag für beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften. Erst mit dem (österreichischen) AbgÄndG 1989 wurde der Verlustabzug für gewerbliche Betriebsstätten in Österreich eingeführt, und zwar auch für solche vor dem 31.12.1988 entstandene Verluste, die in den vorangegangenen 7 Jahren entstanden waren. Nach § 102 Abs. 2 Nr. 2 öEStG 1988 konnte ein Verlustabzug allerdings nur insoweit beansprucht werden, als die Verluste der österreichischen Betriebsstätte die nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkünfte überstiegen.
Österreich ließ danach einen Verlustabzug also nur subsidiär für den Fall zu, dass eine Verlustberücksichtigung im Stammhausstaat nicht möglich war. Da die GmbH in den Veranlagungszeiträumen 1982 bis 1990 über ausreichend inländische Einkünfte verfügte, konnte ein Verlustabzug in Österreich von ihr nicht beansprucht werden.
Das FA rechnete daraufhin die positiven österreichischen Betriebsstätteneinkünfte gem. § 2 Abs. 1 S. 3 AIG, § 2a Abs. 3 S. 3 EStG 1990 dem Gesamtbetrag der Einkünfte der GmbH hinzu und versteuerte dadurch die insoweit zuvor bei der inländischen Veranlagung berücksichtigten Verluste aus der österreichischen Betriebsstätte nach.
Die anschließende Klage hatte Erfolg (FG Berlin, Urteil vom 11.04.2005, 8 K 8101/00, Haufe-Index 1368249, IStR 2005, 571).
Der BFH bestätigt zunächst die sog. Symmetriethese zur abkommensrechtlichen Freistellung auch von Verlusten. Er sah das Ganze dann aber insoweit anders als das FG, als ihm der "konkrete" Abzugsausschluss nicht genügte, um von der Nachversteuerung abzusehen. § 2a Abs. 4 S. 4 EStG 1990 verlange dafür vielmehr einen "allgemeinen" Abzugsausschluss. Daran aber fehle es nach der einschlägigen österreichischen Regelungslage.
Ob die Nachversteuerung unter solchen Umständen aber den Maßstäben des Europarechts genügt, erschien dem BFH mehr als fraglich, weswegen er abermals den EuGH angerufen hat.
Entscheidung
Der EuGH erkennt im Ergebnis keinen Gemeinschaftsrechtsverstoß. Infolge der abkommensrechtlichen Vereinbarung der Freistellung der Verluste zwischen Deutschland und Österreich braucht Deutschland sich die Verlustabzugsbeschränkungen in Österreich nicht anlasten zu lassen.
So gesehen dürfte die Klage also voraussichtlich kaum Erfolg haben.
Hinweis
Es handelt sich um die EuGH-Entscheidung "Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt" über jene Vorlagefragen, welche ihm der BFH durch Beschluss vom 29.11.2006, I R 45/05 (BFH/NV 2007, 1025, BFH/PR 2007, 211), gestellt hat. Die Entscheidung bringt bemerkenswerte Abgrenzungen zu dem jüngst ergangenen Urteil des EuGH vom 15.05.2008, Rs. C-414/06 in der Rechtssache "Lidl Belgium" (BFH/PR 2008, 302).
1. Konkret ging es dort und geht es hier darum, ob und ggf. wie derartige Auslandsverluste aus Sicht des Europarechts im Inland zum Abzug zugelassen werden müssen:
Einen generellen Abzug fordert der EuGH bekanntlich, wie nunmehr feststeht, nicht. Es genügt, wenn der Stammhausstaat die Verluste der Auslandsbetriebsstätte steuerlich berücksichtigt, sofern diese Verluste "final" sind und anderweitig überhaupt nicht abzugsfähig wären. Nur dann fällt die Berücksichtigungsverantwortung vom Betriebsstätten-Mitgliedstaat an den Ansässigkeits-Mitgliedstaat zurück. Ansonsten akzeptiert der EuGH die Besteuerungsverteilung des DBA und damit das dort bestimmte prinzipielle Quellenprinzip bei Freistellung des Quelleneinkommens im Ansä...