Leitsatz
Der auf einem DBA (hier: DBA-Großbritannien 1964/1970) beruhende Ausschluss der Berücksichtigung von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte (sog. Symmetriethese) verstößt auch im Hinblick auf endgültige ("finale") Verluste nicht gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Anschluss an EuGH-Urteil W vom 22.09.2022 ‐ C‐538/20, EU:C:2022:717, DStR 2022, 1993; Bestätigung des Senatsurteils vom 22.02.2017 ‐ I R 2/15, BFHE 257, 120, BStBl II 2017, 709).
Normenkette
Art. III Abs. 1, Art. XVIII Abs. 2 Buchst. a DBA-Großbritannien 1964/1970, Art. 43, Art. 48 EG, Art. 49, Art. 54 AEUV
Sachverhalt
Die Klägerin, eine inländische Aktiengesellschaft (AG), betreibt eine Wertpapierhandelsbank. Der Unternehmensgegenstand umfasst die Bereiche Anlagevermittlung, Abschlussvermittlung, Finanzportfolioverwaltung und Eigenhandel. Die Klägerin hat ein abweichendes Wirtschaftsjahr, das jeweils zum 30. Juni endet.
Im August 2004 eröffnete die Klägerin eine Zweigniederlassung in Großbritannien und übte dort Tätigkeiten in den Bereichen Aktienanalyse und Wertpapierhandel aus. Die Klägerin erzielte aus der Zweigniederlassung keine Gewinne. Deshalb beschloss ihr Vorstand im Februar 2007 deren unverzügliche Schließung. Die Einstellung des Betriebs der Zweigniederlassung wurde noch im ersten Halbjahr 2007 vollzogen und am ...2007 im englischen Handelsregister eingetragen. Aufgrund der Schließung der Zweigniederlassung konnten die steuerlichen Verluste in Großbritannien nicht mehr vorgetragen werden. Die britische Finanzbehörde teilte der Klägerin mit, dass für das Wirtschaftsjahr 2007/2008 und spätere Wirtschaftsjahre keine Abgabe von Steuererklärungen für die Betriebsstätte mehr notwendig sei.
Die Klägerin war der Auffassung, die der Zweigniederlassung zuzuordnenden Verluste seien trotz abkommensrechtlicher Freistellung der Einkünfte der Zweigniederlassung von der inländischen Besteuerung aus unionsrechtlichen Gründen als "finale" Verluste bei der Einkommensermittlung des VZ 2007 (Streitjahr) zu berücksichtigen. Das FA hat die Verluste hingegen im Rahmen der Festsetzung von KSt und GewSt-Messbetrag für 2007 unberücksichtigt gelassen.
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg (Hessisches FG, Urteil vom 4.9.2018, 4 K 385/17, Haufe-Index 12288844, EFG 2018, 1876).
Entscheidung
Nach Durchführung des Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH hat der BFH im "Schlussurteil" der Revision des FA stattgegeben und die Klage abgewiesen.
Hinweis
1. Mit dem Besprechungsurteil hat der BFH eine für international tätige deutsche Unternehmen wichtige Grundsatzentscheidung getroffen und zugleich einen (vorläufigen) Schlusspunkt in der Diskussion über die finalen Verluste gesetzt: Danach können inländische Unternehmen Verluste aus einer im EU-Ausland belegenen Niederlassung nicht steuermindernd mit im Inland erzielten Gewinnen verrechnen, wenn nach dem einschlägigen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung für die ausländischen Einkünfte kein deutsches Besteuerungsrecht besteht. Das gilt auch dann, wenn die Verluste im Ausland steuerrechtlich unter keinen Umständen verwertbar und damit "final" sind (sog. finale Verluste). Dies verstößt nicht gegen das Recht der Europäischen Union.
2. Das Rechtsproblem der finalen Verluste lässt sich an einem einfachen Beispiel erklären. Ein solcher einfacher Fall liegt auch der Besprechungsentscheidung zugrunde: Ein inländisches Unternehmen möchte expandieren und gründet deshalb z.B. im EU-Ausland eine Zweigstelle. Die Expansion misslingt, die Auslandsbetriebsstätte erwirtschaftet Jahr für Jahr einen Verlust und das Unternehmen sieht sich gezwungen, den "Laden" nach einigen Jahren wieder "dichtzumachen". Was bleibt, sind Verluste und final wären die Verluste dann, wenn sie weder rechtlich noch tatsächlich "noch irgendwie" geltend gemacht werden könnten. Das deutsche Steuerrecht ermöglicht die Geltendmachung der Verluste "an sich" nicht. Denn das Abkommensrecht weist das Besteuerungsrecht für die ausländischen Betriebsstätteneinkünfte regelmäßig dem Ausland zu und die Freistellung der Betriebsstätteneinkünfte in Deutschland erfasst nach der sog. Symmetriethese Gewinne und Verluste gleichermaßen. Und an dieser Stelle kommt nun das Unionsrecht und die Rechtsprechung des EuGH ins Spiel. Die Niederlassungsfreiheit könnte den Verlustabzug im Stammhausstaat erzwingen.
3. Und zunächst ging die Rechtsprechung des EuGH auch in die Richtung, dass der Stammhausstaat, der die Betriebsstätteneinkünfte abkommensrechtlich freistellt, unter bestimmten Voraussetzungen gehalten sein kann, die finalen Verluste zum Abzug zuzulassen. Die Rechtsprechungsentwicklung begann mit dem EuGH-UrteilMarks & Spencer vom 13.12.2005, C‐446/03, EU:C:2005:763, BFH/NV Beilage 2006, 117, Sammlung – Slg. 2005, I‐10837. Mit dem EuGH-UrteilTimac Agro Deutschland vom 17.12.2015, C‐388/14 (EU:C:2015:829, BFH/NV 2016, 365) schien das Schicksal der finalen Verluste dann besiegelt zu sein und der BFH nahm diese Entscheidung zum Anl...