rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtskostenfreiheit bei Zurücknahme eines gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung
Leitsatz (redaktionell)
- Bei der Zurücknahme eines gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung ist in entsprechender Anwendung der Gerichtskostenvorschrift für den Fall der Klagerücknahme von der Erhebung der Gerichtskosten abzusehen.
- Eine gesetzliche Regelung für den Fall der Zurücknahme eines gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung fehlt. Diese Lücke ist durch Analogie zu schließen.
- Wenn bei der Einstellung des Klageverfahrens die Gerichtskosten entfallen, muss dies konsequenterweise und erst recht für die Einstellung des Nebenverfahrens über die Aussetzung der Vollziehung, dass „entsprechend” der Verfahrensvorschrift für das Klageverfahren eingestellt wird, „entsprechend” gelten.
- Der Senat folgt insoweit nicht der anders lautenden BFH-Rspr. (BFH/NV 1996, 845), wonach eine zugunsten des Kostenschuldners zu schließende Regelungslücke deshalb nicht vorliege, weil Gerichtskosten nur dann entfielen, wenn dies „ausdrücklich vorgeschrieben” sei.
- Solange im Falle der Klagerücknahme die derzeitige Kostenfreiheit besteht, muss das auch für den Fall der Zurücknahme eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung gelten.
Normenkette
FGO § 72 Abs. 2 S. 2; GKG KV Nrn. 3110, 3210
Tatbestand
I.
Das Klageverfahren 7 K 223/00 und das damit zusammenhängende Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung 7 V 224/00 wurden – nach Klagerücknahme und Rücknahme des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung – durch Beschlüsse vom 16. November 2000 nach § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bzw. „entsprechend” § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO eingestellt. Bezüglich des eingestellten Klageverfahrens wurden Gerichtskosten nicht erhoben. Hingegen stellte die Gerichtsverwaltung wegen des entsprechend § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO eingestellten vorläufigen Rechtsschutzverfahrens mit Schreiben vom 14. Dezember 2000 73,50 DM an Gerichtskosten in Rechnung. Dagegen wendet sich der Kostenschuldner mit Schreiben vom 27. Dezember 2000, welches das Gericht als Rechtsmittel (Erinnerung) gegen den Kostenansatz wertet.
Entscheidungsgründe
II.
Die Erinnerung hat Erfolg. Der Gerichtskostenansatz ist rechtswidrig. Bei der Zurücknahme eines gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung ist in entsprechender Anwendung der Gerichtskostenvorschrift für den Fall der Klagerücknahme von der Erhebung der Gerichtskosten abzusehen.
Nach Nr. 3110 der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) entfallen die Gerichtskosten nach § 11 Abs. 2 GKG bei Zurücknahme der Klage vor Ablauf des Tages, an dem ein Beweisbeschluss oder ein Gerichtsbescheid unterschrieben ist, und früher als eine Woche vor Beginn des Tages, der für die mündliche Verhandlung vorgesehen war. Eine gesetzliche Regelung für den Fall der Zurücknahme eines gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung fehlt (vgl. Nr. 3210 der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG). Nach der Rechtsprechung des Finanzgerichts Baden-Württemberg ist diese Gesetzeslücke durch Analogie zu schließen. Als Hauptargument wird angeführt: Wenn nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung im Falle der Zurücknahme eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung für die Einstellung dieses Verfahrens (Nebenverfahren) - wegen Fehlens einschlägiger Vorschriften - die für das Klageverfahren (Hauptverfahren) geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind, so ist es folgerichtig, für die Folgeentscheidung der Erhebung der Gerichtskosten die für das Klageverfahren geltenden Vorschriften ebenfalls entsprechend anzuwenden (EFG 1999, 343, 344).
Nach diesen Rechtsgrundsätzen, denen das Gericht folgt, ist im Streitfall von der Erhebung der Gerichtskosten abzusehen. Denn wenn wie hier bei der Einstellung des Klageverfahrens nach § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Gerichtskosten entfallen, muss dies konsequenterweise und erst recht für die Einstellung des Nebenverfahrens über die Aussetzung der Vollziehung, das hier „entsprechend” § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO eingestellt worden ist, entsprechend gelten.
Dagegen folgt das Gericht nicht der anderslautenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH/NV 1996, 845), wonach eine Regelungslücke, die zugunsten des Kostenschuldners zu schliessen wäre, deshalb nicht vorliege, weil Gerichtskosten nur dann entfielen, wenn dies „ausdrücklich vorgeschrieben” sei. Denn die Argumentation des Bundesfinanzhofs geht hier offensichtlich und unzulässigerweise davon aus, dass der Richter darauf beschränkt ist, gesetzgeberische Weisungen nur in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Dagegen ist nach sachverständiger Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Aufgabe der Rechtsprechung, „Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhaft...