vorläufig nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Kindergeld für ein Kind in der Slowakei, wenn die Kindesmutter für das Kind Familienleistungen in der Slowakei bezieht
Leitsatz (redaktionell)
- Zur Prüfungsreihenfolge bei Kindergeldfällen, die das Kindergeldrecht mehrer EU-Mitgliedsstaaten betreffen.
- Zu konkurrierenden Kindergeldansprüchen nach deutschem und nach slowakischem Recht.
- Ein Stpfl. mit Wohnsitz in der Bundesrepublik hat für seinen in der Slowakei lebenden Sohn keinen Kindergeldanspruch, wenn die Kindesmutter in der Slowakei einen vorrangigen und ausschließlichen Kindergeldanspruch hat.
Normenkette
EStG §§ 62-64; EU-VO Nr. 883/2004 Art. 68 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob dem Kläger Kindergeld für seinen in der Slowakei lebenden Sohn zusteht.
Der Kläger lebt in B. Er ist weder erwerbstätig, noch bezieht er Rente. Der Kläger ist Vater des am 10. Dezember 2004 geborenen F. Kindesmutter ist die seit dem 5. April 2010 vom Kläger geschiedene Frau O. Diese lebt seit Mai 2009 in der Slowakei; der Sohn hält sich dort seit Mai 2010 aus. O ist in der Slowakei berufstätig. Nach einer Mitteilung der zuständigen slowakischen Behörde bezieht O für F in der Slowakei seit Januar 2010 Kindergeld in Höhe von monatlich 21,99 € (Bl. 102, 103 FG-Akte).
Der Kläger ist weiterhin Vater der Kinder P und K, die in Polen leben. Das Kindergeld für diese Kinder bildet den Gegenstand des Klageverfahrens 3 K 155/11.
Aufgrund der Mitteilung der slowakischen Kindergeldbehörde kürzte der Beklagte mit Bescheid vom 13. Juli 2010 das Kindergeld für den Zeitraum Januar - Mai 2010 um 21,99 €, d.h. beschränkte es auf das sogenannte „Differenzkindergeld”. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden. Mit weiterem Bescheid vom 13. Juli 2010 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für F mit Wirkung ab Juni 2010 auf. Der Beklagte begründete dies damit, dass die Kindesmutter einen vorrangigen Anspruch nach dem Bundeskindergeldgesetz habe.
Der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Der Kläger vertritt die Rechtsauffassung, dass ihm das Kindergeld für F zustehe, soweit es das in der Slowakei gezahlte Kindergeld übersteige. Der Kläger sei der einzige Anspruchsberechtigte nach deutschem Recht, weil nur er einen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe, nicht aber die Kindesmutter. § 64 EStG komme deshalb nicht zur Anwendung, weil er nur den Fall betreffe, dass zwei Personen nach deutschem Recht Ansprüche auf Kindergeld hätten. Die EU-Verordnungen Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 würden den Kreis der Anspruchsberechtigten nicht erweitern.
Der Kläger beruft sich auf Art. 7 der EU-Verordnung Nr. 883/2004, wonach Geldleistungen nicht aufgrund der Tatsache entzogen werden dürften, dass Familienangehörige in einem anderen als dem zur Zahlung verpflichteten Staat leben würden. Diese Bestimmung habe der Beklagte missachtet. Nach Art. 11 Abs. 3 e) der EU-Verordnung Nr. 883/2004 sei auf den Kläger ausschließlich deutsches Recht anwendbar. Aus Art. 67 der EU-Verordnung Nr. 883/2004 ergebe sich, dass dem Kläger Kindergeldansprüche auch für in einem anderen EU-Mitgliedsland lebende Familienangehörige zustehen würden.
Zwar würde nach der Prioritätsregel in Art. 68 Abs. 1 b) iii) EU-Verordnung Nr. 883/2004 ein vorrangiger Anspruch im Wohnsitzland des Kindes bestehen. Nach Art. 68 Abs. 2 sei jedoch in Höhe der Differenz zum Kindergeldanspruch im anderen Mitgliedsland Kindergeld zu gewähren. Dies sei hier einschlägig. Die Einschränkung in Art. 68 Abs. 2 Satz 3 greife nicht, weil es keine den Leistungsanspruch ausschließende deutsche Rechtsvorschrift gebe.
Auch Art. 60 der EU-Verordnung Nr. 987/2009 stehe dem Anspruch des Klägers nicht entgegen, weil dort geregelt sei, dass dann, wenn ein Elternteil einen Anspruch nicht geltend mache, dann die Behörde den Antrag des anderen Elternteils berücksichtige. Da hier seine geschiedene Frau keine Kindergeldansprüche in Deutschland geltend gemacht habe, sei sein Anspruch positiv zu bescheiden.
Die Entscheidungen des EuGH, auf die sich der Beklagte berufe, seien nicht einschlägig, weil sie einerseits keine Kindergeldleistungen, sondern sozialrechtliche Leistungsansprüche des Ehegatten eines Arbeitnehmers zum Gegenstand hätten und sich zudem auf die inzwischen außer Kraft getretenen EU-Verordnungen Nr. 1408/71 bzw. 574/72 beziehen würden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 13. Juli 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2011 den Beklagen zu verpflichten, mit Wirkung ab Juni 2010 Kindergeld für F in Höhe von monatlich 162,01 € zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Meinung, dass das Kindergeld für F nach der EU-Verordnung Nr. 883/2004 und der zugehörigen Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 nicht dem Kläger, sondern der Kindesmutter zustehe.
Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 2 EU-Verordnung Nr. 987/2009 sei bei der Anwendung der Art. 67 und 68 der EU-Verordnung Nr. 883/2004 die Situation...