Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anspruch auf Kindergeld nach dem deutsch-türkischen Abkommen über soziale Sicherheit für ein sich in der Türkei gewöhnlich aufhaltendes oder dort wohnhaftes Kind
Leitsatz (redaktionell)
- Nach §§ 62 Abs. 1, 66 EStG besteht kein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das in Deutschland weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, weil es sich zur Schulausbildung in die Türkei begeben und dort seinen Wohnsitz/gewöhnlichen Aufenthalt hat.
- Für ein derartiges Kind besteht auch kein Anspruch auf Kindergeld nach dem deutsch-türkischen Abkommen über soziale Sicherheit.
- Nach Systematik und Zweck des deutsch-türkischen Abkommens über soziale Sicherheit kommt es nicht in Betracht, dass ein deutscher Staatsangehöriger Kindergeld für seine im Ausland ansässigen Kinder beanspruchen kann.
Normenkette
EStG §§ 62-63, 66; AO § 9; SozSichAbk Türkei Art. 33
Streitjahr(e)
2004, 2005, 2006
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für die Tochter der Klägerin für den Zeitraum August 2004 bis Juli 2006 (24 Monate) und für den Sohn der Klägerin für den Zeitraum August 2003 bis August 2007 (49 Monate) zu Recht aufgehoben hat und ob die Klägerin für den Zeitraum September 2007 bis Mai 2008 einen Anspruch auf Kindergeld für beide Kinder hatte.
Die Klägerin ist die Mutter einer Tochter, E1, und eines Sohnes E2. Der Klägerin und ihrem Ehemann sowie beiden Kindern wurde im Jahre 2001 die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen. Nach Meldebescheinigungen der Stadt S sind beide Kinder jedenfalls seit Februar 2001 ununterbrochen ordnungsbehördlich in S gemeldet. In der Zeit von 1991 bis 15. Mai 2008 ist die Klägerin einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung mit einem Bruttogehalt von zuletzt etwa 440 € nachgegangen.
E2 besuchte bis Juli 2003 das Gymnasium S. Am 1. September 2003 setzte er die Schulausbildung an einer Privatschule in A (Türkei) fort. Nachdem er einen Versuch zur Notenverbesserung unternommen hatte, verließ er die Schule im Januar 2009. Während der Schulausbildung in A (Türkei) wohnte der Sohn der Klägerin bei seiner Großmutter in A (Türkei).
Die Tochter E1 besuchte bis Juli 2004 das Gymnasium in S und in der Zeit von September 2004 bis Juli 2006 die Privatschule in A (Türkei). Seit September 2006 ist E1 an der Universität I (Türkei) als Studentin eingeschrieben. In A wohnte die Tochter der Klägerin bei der Großmutter, nunmehr bewohnt sie ein Zimmer in einem Studentenwohnheim in I (Türkei).
Für beide Kinder wurde in der gesamten Zeit im Haushalt der Klägerin weiterhin jeweils ein Zimmer vorgehalten.
Die Klägerin beantragte im Juli 2007 die fortgesetzte Zahlung von Kindergeld für ihren inzwischen volljährig gewordenen Sohn und teilte im Antragsverfahren mit, dass dieser sich zur Schulausbildung in der Türkei aufhalte. Auf Nachfrage der Beklagten gab sie an, dass sich auch die Tochter in der Türkei befinde. Die Klägerin führte ferner aus, im Betrieb ihres Ehemannes gearbeitet zu haben, reichte aber zunächst trotz Aufforderung durch die Beklagte keine Nachweise über die gezahlten Arbeitgeberbeiträge zur Bundesagentur für Arbeit ein.
Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 2008 das für beide Kinder für die Monate August 2003 bis Juli 2006 gezahlte Kindergeld in Höhe von 11.088,00 € (= 2 x 154,00 € x 36 Monate) und das für E2 im Zeitraum August 2006 bis August 2007 geleistete Kindergeld in Höhe von 2.002,00 € (= 154,00 € x 13 Monate) auf. Zugleich forderte die Beklagte die Summe von 13.090,00 € (= 11.088,00 € + 2.002,00 €) von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Beklagte an, die Kinder seien beim Kindergeld nicht mehr zu berücksichtigen, weil sie weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hätten. Eine Berücksichtigung nach überstaatlichen Rechtsvorschriften könne nicht erfolgen, weil die Voraussetzungen hierfür (beitragspflichtige Beschäftigung bzw. Bezug von Lohnersatzleistungen) nicht nachgewiesen worden seien.
Hiergegen legte die Klägerin am 4. Juli 2008 Einspruch ein. Ihre beiden Kinder seien nach wie vor in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet. Die Kinder befänden sich lediglich zu Ausbildungszwecken in der Türkei. Bei jeder Gelegenheit, die die Ausbildung zulasse, kehrten E2 und E1 nach Deutschland zurück. Bislang hätten sie die Bundesrepublik nicht für einen längeren Zeitraum als sechs Monate verlassen. Längere Aufenthalte seien allerdings nach den Ausbildungsordnungen nicht möglich. In der Wohnung ihrer Eltern verfügten beide Kinder über ein eigenes Zimmer, das nach wie vor nach deren Bedürfnissen eingerichtet sei.
Was ihre Aufenthalte in Deutschland angeht, gaben die Kinder der Klägerin gegenüber der Beklagten im außergerichtlichen Vorverfahren eidesstattlich versicherte Erklärungen ab. Zu ihren Aufenthalten in Deutschland seit August 2004 gab E1 u. a. an:
„(…) ab September 2004 immer dann nach Hause, nach S...