Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen für künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung
Leitsatz (redaktionell)
- Aufwendungen einer empfängnisunfähigen Frau für Maßnahmen der Fortpflanzungsmedizin, die in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen werden, sind als steuerlich angemessene und notwendige Heilbehandlung zu bewerten und können als außergewöhnliche Belastung abziehbar sein.
- Demgemäß sind auch die Kosten für künstliche Befruchtungen (im Streitfall: Invitro-Fertilisation) einer 44 Jahre alten Stpfl. als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Das gilt jedenfalls dann, wenn ein Erstattungsanspruch der Stpfl. gegen ihre Krankenversicherung nicht besteht.
Normenkette
EStG § 33
Streitjahr(e)
2005
Tatbestand
Streitig ist die Berücksichtigung von Aufwendungen einer 44-jährigen verheirateten Steuerpflichtigen für In-Vitro-Fertilisationen als außergewöhnliche Belastungen.
Die Klägerin (geboren am … 1961), … Mutter zweier Kinder aus früheren Beziehungen, und der Kläger (geboren am … 1962) sind seit … 2004 miteinander verheiratet. In ihrer Einkommensteuererklärung machten sie Aufwendungen für drei künstlichen Befruchtungen in 2005 in Höhe von insgesamt 12.821 € -hiervon 11.187 € für Behandlungen und Medikamente sowie 1.634 € für Fahrten- als außergewöhnliche Belastung geltend.
Kurze Zeit nach ihrer Heirat habe sich herausgestellt, dass sich ihr Kinderwunsch nicht auf natürliche Weise erfüllen werde. Eine medizinische Untersuchung habe ergeben, dass die Klägerin unter einer organisch bedingten sekundären Sterilität leide; der Kläger hingegen sei zeugungsfähig gewesen. Ihnen seien gute Erfolgsaussichten für eine homologe künstliche Befruchtung eingeräumt worden. Wegen höherer Erfolgswahrscheinlichkeit hätten sie sich für eine In-Vitro-Fertilisation mit ICSI-Prozedur entschieden. Bei dieser Methode würden Ei- und Samenzellen entnommen, unter Laborbedingungen befruchtet und die befruchteten Eizellen danach zur Einnistung in die Gebärmutter eingesetzt.
Nach einem erfolglosen Versuch im September 2004 hätten drei weitere Versuche in 2005 (in B. bzw. H.) zu den – der Höhe nach zwischen den Beteiligten unstreitigen – Aufwendungen (Blatt 33 bis 75 der Gerichtsakte) geführt. Nach einem weiteren Versuch in 2006 seien die künstlichen Befruchtungen erfolglos abgebrochen worden.
Dr. med. A. bestätigte den Klägern, dass die Behandlungen in 2005 entsprechend den Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung im homologen System, also unter Verwendung von Eizellen der Ehefrau und von Spermien des Ehemannes, durchgeführt worden seien. Wegen der Einzelheiten der ärztlichen Bescheinigung vom … wird auf Blatt 16 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Die Barmer Eratzkasse, bei der die Klägerin freiwillig krankenversichert ist, lehnte eine Erstattung der Kosten für eine künstliche Befruchtung ab. Nach § 27a des 5. Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) habe sie hierauf wegen Vollendung des 40. Lebensjahres keinen Anspruch. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben der Barmer Ersatzkasse vom … (Blatt 17 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
In dem Einkommensteuerbescheid vom 10. Oktober 2006 berücksichtige der Beklagte (das Finanzamt – FA –) die Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen.
Den Einspruch der Kläger wies das FA hinsichtlich der als außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Aufwendungen durch Teileinspruchsbescheid vom 18. November 2008 als unbegründet zurück. Die Zwangsläufigkeit von Krankheitsaufwendungen werde im Rahmen des § 33 Einkommensteuergesetzes (EStG) im Allgemeinen unterstellt, weil das die Krankheit auslösende Ereignis weder von der Finanzverwaltung noch von den Finanzgerichten ohne unzumutbares Eindringen in die Privatsphäre zutreffend festgestellt werden könne. Seien Aufwendungen für Maßnahmen entstanden, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen könnten und deren medizinische Erforderlichkeit bisher sehr schwer zu beurteilen sei, verlange der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches oder vertrauensärztliches Gutachten, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der Behandlung zweifelsfrei ergebe. Nicht das FA oder das Finanzgericht, sondern nur der rechtzeitig eingeschaltete Amtsarzt oder der medizinische Dienst einer gesetzlichen Krankenversicherung besitze die notwendige Sachkunde und die erforderliche Neutralität, um die medizinische Indikation objektiv beurteilen zu können. Da die Kläger einen solchen qualifizierten Nachweis der medizinischen Indikation nicht geführt hätten, seien die Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.
Hiergegen haben die Kläger am 10. Dezember 2008 Klage erhoben, mit der sie den Abzug der der Höhe nach unstreitigen Aufwendungen von als außergewöhnliche Belastungen begeh...