Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von Rechtsbehelfsschriften eines Steuerberaters nach den zu § 133 BGB entwickelten Grundsätzen
Leitsatz (redaktionell)
- Bei der Auslegung eines Schriftsatzes eines Bevollmächtigten, mit dem Einspruch eingelegt wird, ist nach den Vorgaben des § 133 BGB zu verfahren.
- Die Regeln über die Auslegung von Willenserklärungen nach § 133 BGB gelten auch im Besteuerungsverfahren.
- Bei der Auslegung von Rechtsbehelfen ist das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu beachten.
Normenkette
AO § 355 Abs. 1, § 122 Abs. 2 Nr. 1; BGB § 133
Streitjahr(e)
2003
Nachgehend
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob und ggf. wann die Kläger Einspruch gegen Vermögensteuerbescheide eingelegt haben.
Die Kläger sind miteinander verheiratet und wurden zusammen zur Vermögensteuer veranlagt. Durch Hauptveranlagungsbescheide vom 10. März 2003 setzte das Finanzamt die Vermögensteuer der Kläger auf den 1. Januar 1989 und 1. Januar 1993 fest. In den Bescheiden hat das Finanzamt Kapitalvermögen in Höhe von 1,5 Mio. DM auf den 1. Januar 1989 und 1,7 Mio. DM auf den 1. Januar 1993 der Besteuerung unterworfen, das es im Wege der Schätzung abweichend von der Erklärung ermittelt hatte. Die Bescheide sind an die Kläger adressiert und durch Aufgabe zur Post bekannt gegeben worden. Ein Absendevermerk befindet sich nicht bei den Akten.
Mit Schreiben vom 30. April 2003, das noch am selben Tage beim Finanzamt eingegangen ist, teilte der steuerliche Berater der Kläger dem Finanzamt mit, dass sich seine Mandanten in der Zeit zwischen Ende Februar 2003 bis zum 26. April 2003 zu einem Urlaub im Ausland aufgehalten hätten. Unter Bezugnahme auf diesen Urlaub heißt es in dem Schreiben weiter:
„Bedingt durch diesen Urlaub war es den Eheleuten nicht möglich, die Einspruchsfrist für die vorgenannten Bescheide einzuhalten. .................. Im Namen der Eheleute S... beantrage ich hiermit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO für die nachfolgend aufgeführten Steuerbescheide: ...”.
Darauf teilte das Finanzamt dem Bevollmächtigten unter dem 3. Juni 2003 – das Schreiben weist in der Bezugszeile auf eine Einkommensteuersache 1991 – 1999 hin – mit, dass nach § 110 AO neben dem Wiedereinsetzungsantrag auch die versäumte Handlung selber nachzuholen sei. Da letzteres – nämlich die Einlegung der Einsprüche – unterblieben sei und auch nicht mehr nachgeholt werden könne, gehe eine Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag ins Leere. Das Finanzamt sehe daher den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als erledigt an.
Daraufhin wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Kläger erneut – diesmal mit Schreiben vom 30. Juni 2003 – ans Finanzamt und legte gegen die Vermögensteuerbescheide auf den 1. Januar 1989 und 1. Januar 1993 ausdrücklich Einspruch ein. Zur Begründung wies er darauf hin, dass die Bescheide offenbar unrichtig seien im Sinne von § 129 AO. Bei der Höhe der Kapitalforderung sei das Finanzamt erheblich von der Erklärung abgewichen. Es habe das Kapitalvermögen auf den 1. Januar 1995 geschätzt, wobei es bei einem Depotkonto in Luxemburg einen Betrag von 570.000 DM versehentlich doppelt erfasst habe. Davon ausgehend seien auch die Schätzungen für die hier streitigen Veranlagungszeitpunkte zu berichtigen.
Diesen Einspruch vom 30. Juni 2003 beschied das Finanzamt unter dem 12. September 2003. Dabei teilte das Finanzamt einleitend mit, dass es die Einsprüche als einen Antrag auf Änderung nach § 129 AO umdeute und lehnte anschließend den so umgedeuteten Antrag ab. Dieser Bescheid vom 12. September 2003 enthält den handschriftlichen Absendevermerk: 29. September 2003.
Gegen den Bescheid vom 12. September 2003 legte der Bevollmächtigte der Kläger Einspruch ein und wies darin erneut auf die abweichende Höhe der Kapitalforderungen hin.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Mit Bescheid vom 24. November 2003 entschied das Finanzamt, dass ein Schreib- oder Rechenfehler, der zu einer Änderung nach § 129 AO berechtigte, den angefochtenen Bescheiden – bei denen es sich im übrigen um Änderungsbescheide nach § 173 AO handele – nicht anhafte.
Mit ihrer Klage erstreben die Kläger eine Änderung der Vermögensteuerbescheide vom 10. März 2003. Zur Begründung weisen sie darauf hin, dass die geschätzten Vermögensstände an den Feststellungsstichtagen falsch seien. Das Finanzamt sei bei seiner Schätzung vom Kapitalvermögen auf den 1. Januar 1995 ausgegangen und habe daraus das Vermögen auf den 1. Januar 1993 und 1. Januar 1989 zurückgerechnet. Dabei sei ein Fehler jedoch insofern unterlaufen, als auf dem 1. Januar 1995 ein Betrag in Höhe von 570.000 DM in einem Depotkonto in Luxemburg versehentlich doppelt erfasst sei. Auf den 1. Januar 1995 habe das Finanzamt den Fehler auch eingesehen und den Bescheid entsprechend geändert. Eine entsprechende Änderung auf den 1. Januar 1993 und 1. Januar 198...