Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 FGO - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (redaktionell)
- Zum notwendigen Inhalt einer Anfechtungsklage gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO.
- Wie weit das Klagebegehren im Einzelnen zu substantiieren ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Streitfalles ab, insb. vom Inhalt des angefochtenen VA.
- Entscheidend ist, ob das Gericht durch die Angaben des Kl. in die Lage versetzt wird, zu erkennen, worin die den Kl. treffende Rechtsverletzung nach dessen Ansicht liegt.
- Bei einer unbestimmten Klageschrift kann unter Heranziehung der beigefügten Einspruchsentscheidung bei mehr als einem Streitpunkt von - denkbar - mehreren das Klagebegehren nicht durch Auslegung ermittelt werden und es kann ohne Verfahrensfehler eine Ausschlussfrist gesetzt werden.
- In gerichtlichen Verfahren können parallel verschiedene Fristen laufen, die jeweils gesondert von den Prozessbeteiligten zu beachten sind.
- Es stellt einen Organisationsmangel des Prozessbevollmächtigten dar, wenn in seiner Kanzlei durch organisatorische Maßnahmen die Überwachung von Ausschlussfristen nicht gewährleistet ist.
Normenkette
FGO §§ 56, 65
Streitjahr(e)
2010, 2011
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist zunächst, ob das Gericht den Klägern eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) setzen durfte, den Klägern ggf. Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zu gewähren ist und zuletzt in welcher Weise die angefochtenen Bescheide ggf. materiell geändert werden müssen.
Die einheitliche per Telefax erhobene Klage richtete sich gegen zwei gesonderte Einspruchsbescheide zur Einkommensteuer 2010 einerseits und zur Einkommensteuer 2011 andererseits. Der Prozessbevollmächtigte benannte die angefochtenen Bescheide in seiner Klageschrift nach Veranlagungsjahr und jeweils dem Datum der Bescheide. Im Übrigen formuliert er: „Anträge und Begründung bleiben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.” (Bl. 2 der Gerichtsakte). Dem (nachgereichten) Original der Klageschrift waren die beiden Einspruchsbescheide beigegeben.
Die Kläger sind seit vielen Jahren an verschiedensten Gesellschaften beteiligt. Sie erzielen daneben Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung, aus Kapitalvermögen und sonstige Einkünfte. Im Jahr 2011 waren durchgängig Einspruchsverfahren - regelmäßig mit zahlreichen Einzelstreitpunkten - beginnend ab dem Veranlagungszeitraum 1996 beim FA bzw. bereits Klagen beim Finanzgericht anhängig. Die den Einspruchsentscheidungen vorangegangenen Veranlagungsverfahren zur hier streitigen Einkommensteuer 2010 und 2011 stellten sich wie folgt dar:
Einkommensteuer 2010
Die Kläger hatten zunächst ihre Steuererklärung nicht abgegeben. Durch Bescheid vom 4. Oktober 2011 schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen in einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid. Anfang November 2011 legten die Kläger ihre Steuererklärung vor. Das FA wertete die Steuererklärung aus und erließ unter dem 24. November 2011 einen Änderungsbescheid, der überwiegend der Steuererklärung entsprach. Das FA gab den Klägern zugleich auf, weitere Unterlagen/Nachweise zu Werbungskosten über 25.000 € und zu den sonstigen Einkünften vorzulegen. Mit ihrem Einspruch gegen diesen Bescheid machten die Kläger für die Klägerin einen höheren Verlust nach § 17 EStG geltend, der in voller Höhe und nicht im Teileinkünfteverfahren zu berücksichtigen sei. Das FA änderte den Bescheid nochmals unter dem 26. Januar 2012 und dem 4. Juni 2012. In dem letztgenannten Bescheid berücksichtigte das FA den Auflösungsverlust erklärungsgemäß in voller Höhe. Die Kläger legten abermals Einspruch ein und rügten zwei Punkte. Später erläuterte der Kläger dem FA die Werbungskosten über 25.000 € durch Vorlage eines Vertrages über die Anschaffung einer Forderung gegen die X-GmbH aus dem Jahr 2009. Streitig wurde dadurch, ob und in welchem Jahr die vom Kläger in Teilbeträgen eingezogene Forderung steuerbar ist. Im Änderungsbescheid vom 6. Dezember 2013 erfasste das FA den Forderungseinzug als gewerbliche Einkünfte des Klägers und änderte den Bescheid im Übrigen aufgrund inzwischen ergangener Grundlagenbescheide. Die Kläger hielten ihren Einspruch aufrecht. Sie machten geltend, die Einkünfte aus zwei Grundstücksgemeinschaften (A-GbR und B-GbR) hätten nicht durch Umqualifizierung als Einkünfte aus gewerblichem Grundstückshandel unter Kürzung der anteiligen AfA in den Bescheid einfließen dürfen. Auch handele es sich bei dem Forderungseinzug um sonstige Einkünfte und nicht um solche aus Gewerbebetrieb. Die Kläger begründeten ihre abweichende Rechtsansicht zur Umqualifizierung der Einkünfte bei insgesamt drei Grundstücksgemeinschaften umfänglich. Das FA wies den Einspruch durch Einspruchsbescheid vom 14. Juli 2014 zurück und verwies insoweit auf eine Entscheidung des erkennenden Senats in seinem Urteil vom 14. November 2012 (3 K 345/11), in dem das Gericht die Um...