Leitsatz
1. Die Verrechnung erstatteter oder zurückgezahlter mit gezahlten Sonderausgaben setzt Gleichartigkeit voraus.
2. Ob die Sonderausgaben gleichartig sind, richtet sich nach deren Sinn und Zweck sowie deren wirtschaftlichen Bedeutung und Auswirkungen für den Steuerpflichtigen. Bei Versicherungsbeiträgen kommt es auf die Funktion der Versicherung und das abgesicherte Risiko an.
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nrn. 1 bis 9 EStG 2002
Sachverhalt
Der Kläger unterhielt seit 1993 eine Krankentagegeldversicherung, für die er bis 2002 Beiträge i.H.v. 14093 EUR zahlte. Die Beitragszahlungen machte er in entsprechenden Jahren jeweils als Sonderausgaben geltend. Im September 2002 hob die Krankentagegeldversicherung den Vertrag mit dem Kläger rückwirkend zum 01.08.1993 auf und erstattete dem Kläger alle bis zum 30.09.2002 geleisteten Beiträge.
Die erstatteten Krankentagegeldversicherungsbeiträge zog der Kläger in der ESt-Erklärung 2002 bei den verausgabten Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung bis zu deren Höhe von 4697 EUR ab. Demnach verblieben von den im Jahr 2002 an Vorsorgeaufwendungen aufgewendeten 16078 EUR insgesamt 11381 EUR an grundsätzlich abzugsfähige Sonderausgaben. Das FA kürzte demgegenüber die geltend gemachten Versicherungsbeiträge um den gesamten Erstattungsbetrag und berücksichtigte lediglich den Rest von 1 985 EUR als abziehbare Sonderausgaben mit der Begründung, alle Sonderausgaben des § 10 Abs. 1 EStG 2002. a.F. seien gleichartige Aufwendungen.
Das FG gab der Klage statt, weil die vom FA vorgenommene Verrechnung unzulässig sei. Es handle es sich nicht um eine Verrechnung mit gleichartigen Sonderausgaben (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 10.07.2007, 5 K 358/04, Haufe-Index 1784818, EFG 2007, 1590).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen. Zu Recht habe das FG die vom FA vorgenommene Kürzung der Vorsorgeaufwendungen nicht zugelassen
Hinweis
1. Nach § 10 Abs. 1 S. 1 EStG a.F. sind bestimmte, im Einzelnen aufgeführte "Aufwendungen" als Sonderausgaben abziehbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH dürfen nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist.
2. Eine wirtschaftliche Belastung ist demgegenüber bei Sonderausgaben nicht anzunehmen, wenn geleistete Aufwendungen in einem späteren Veranlagungszeitraum erstattet werden. Ist der Steuerbescheid des Zahlungsjahrs noch nicht bestandskräftig, ist der Sonderausgabenabzug um die nachträgliche Erstattung zu mindern. Ein bereits bestandskräftiger Bescheid kann nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO geändert werden. Dies gilt auch dann, wenn der sog. Erstattungsüberhang daraus resultiert, dass die im Veranlagungszeitraum erstatteten Sonderausgaben die im Veranlagungszeitraum gezahlten übersteigen.
3. An dieser Rechtsprechung, wonach die Verrechnung erstatteter Sonderausgaben mit im Erstattungsjahr gezahlten gleichartigen Sonderausgaben zulässig ist, hält der BFH auch in Kenntnis der systematischen Bedenken und der Kritik im Schrifttum noch in jüngster Zeit fest (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.11.2008, X R 24/08, BFH/NV 2009, 568).
4. Dies gilt jedoch nur für die Verrechnung von erstatteten gleichartigen Sonderausgaben. Die Frage der Gleichartigkeit ist nach dem tatsächlichen Charakter und der Funktion der jeweiligen Sonderausgabe für den Steuerpflichtigen zu beantworten.
5. Diese Orientierung an der wirtschaftlichen Bedeutung und Auswirkung der Sonderausgabe für den Steuerpflichtigen schließt die Gleichartigkeit aller Tatbestände des § 10 Abs. 1 Nrn. 1 bis 9 EStG a.F. aus und rechtfertigt es, bei Versicherungsbeiträgen danach zu unterscheiden, welche Funktion die jeweilige Versicherung für den Steuerpflichtigen hat und welches Risiko sie absichert.
6. Im Hinblick auf die Ähnlichkeit des versicherten Risikos und vergleichbarer Versicherungsstrukturen können Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen als gleichartig angesehen werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 21.07.2009 – X R 32/07