Leitsatz
1. Eine differenzierte steuerliche Behandlung jedes einzelnen Steuerversandverfahrens ist auch dann geboten, wenn diese auf ein einheitliches Rechtsgeschäft zurückgehen.
2. Das FG kann sich die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen des Strafgerichts zu eigen machen, wenn es diese für zutreffend hält und keine substanziierten Einwendungen erhoben werden. Die System-RL verbietet dies nicht.
3. Nach einem Teilerlass kann die Überprüfung der Rechtsmäßigkeit eines Steuerbescheids auf diejenigen Steuerfestsetzungen beschränkt werden, die von dem Teilerlass nicht erfasst sind.
Normenkette
Art. 18, 19, 20 Abs. 2 und 3 System-RL 92/12/EWG, § 143 Abs. 2 BrantwMonG, § 227 AO , * Leitsatz nicht amtlich
Sachverhalt
Eine spanische Schnaps-Brennerei verschickte im Steuerversandverfahren 28 Lkw-Ladungen Spirituosen. Sie sollten über Deutschland nach Osteuropa gehen. Die Verfahren wurden jedoch nicht bzw. nur scheinbar mithilfe gefälschter Rückscheine erledigt.
Das deutsche HZA, das dieses festgestellt hatte, setzte deshalb rund 5 Mio. DM Branntweinsteuer fest. Im Wesentlichen aufgrund der Liquiditätslage der Firma erließ es jedoch später die Steuer bis auf einen Betrag von einer Million DM, ohne in der Entscheidung einzelne Steuerbescheide zu bezeichnen, auf die sich der Erlass beziehen solle. Die Firma erhob Klage und beantragte, den Steuerbescheid insoweit aufzuheben, als das HZA nicht bereits 4 Mio. DM erlassen habe. Aufgrund dieses Antrags setzte das FG den Steuerbescheid "um 500.000 DM herab". Auf die ferner wegen des Erlasses erhobene Klage hob das FG die Entscheidung des HZA insoweit auf, als dieses einen vollständigen Erlass abgelehnt hatte, und verpflichtete zur Neubescheidung; es beanstandete, dass das HZA Steuerfestsetzungen berücksichtigt habe, die rechtswidrig seien. Gegen diese beiden Urteile wandten sich beide Beteiligten mit einer Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidung
Der BFH hat eine Revision gegen diese Entscheidungen nicht zugelassen. Er vermochte nicht zu erkennen, dass die von den Beteiligten geltend gemachten Revisionszulassungsgründe vorliegen, wobei er offenbar deren Vorbringen mehr als wörtlich und weniger als Anlass genommen hat, die Sache selbst zu prüfen; er hat sich deshalb mit den in den Praxishinweisen formulierten Bedenken nicht auseinanderzusetzen brauchen.
Jede Sendung sei zwar steuerlich gesondert zu beurteilen, auch wenn sie alle auf einem einheitlichen Rechtsgeschäft beruhten. Das FG habe jedoch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids auf diejenigen Lieferungen beschränken dürfen, für welche die Steuer nicht erlassen worden ist. Hingegen habe es bei der Erlassentscheidung auf diejenigen Sendungen abstellen dürfen, auf die sich der Erlass beziehe.
Mit der Rüge, dass das FG in Wahrheit vom Erlass nicht erfasste Sendungen berücksichtigt, andere jedoch unberücksichtigt gelassen habe, werde ein Verfahrensfehler nicht dargelegt. Es handele sich lediglich um einen "Dissens in der Auslegung der Einspruchsentscheidung".
Hinweis
1. Ein äußerlich einheitlicher Steuerbescheid besteht mitunter aus einem Bündel rechtlich selbstständiger Steuerfestsetzungen. So ist es insbesondere im Verbrauchsteuer- und Zollrecht, wenn es in ein und demselben Bescheid um mehrere Warensendungen geht. Dass die System-RL an dieser geradezu aus der Natur der Sache folgenden Erkenntnis nicht ändern kann und will, legt der BFH in der Entscheidung eingehend und überzeugend dar.
2. Wird ein Steuerbescheid zum Klagegegenstand, der in dieser Weise rechtlich selbstständige Steuerfestsetzungen in sich birgt, ist es unbedingt erforderlich, dass der Kläger klar und eindeutig sagt, welche Steuerfestsetzungen er angreift, dass das Gericht in seiner Entscheidung gegebenenfalls genau bestimmte Steuerfestsetzungen aufhebt und ggf. andere bestehen lässt; das Gericht darf sich also bei einem solchen Sammelbescheid nicht etwa darauf beschränken, auf das wirtschaftliche Ergebnis schauend, die Summe der seiner Ansicht nach zu zahlenden Steuer herabzusetzen (und dabei offen zu lassen, welche Einzelfestsetzungen bestehen bleiben sollen, welche geändert und welche ganz aufgehoben werden). Ziehen Sie also aus der Tatsache, dass der BFH im Besprechungsfall die an sich mit der Grundordnung des Verfahrens kaum vereinbare Vorgehensweise des FG hat durchgehen lassen, keine voreiligen Schlüsse!
3. Die genaue Fixierung des Verfahrensgegenstands durch einen klaren und eindeutigen Klageantrag und eine entsprechend eindeutige Verlautbarung des Gerichts, welche Verwaltungsentscheidung es beanstandet, ist auch im Erlassverfahren ein zwingendes Verfahrensgebot. Allerdings sind Klageanträge und Gerichtsentscheidungen ebenso wie Verwaltungsentscheidungen auslegungsfähig. Was die Behörde entschieden hat, sollte sich aber möglichst schon aus dem Tenor ihrer Entscheidung, spätestens dem Tenor der Einspruchsentscheidung klar und eindeutig ergeben. Die Ausführungen in den Gründen können einen entsprechenden kl...