Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
1. Es verstößt nicht gegen das GG oder sonstiges Recht,
- dass das Kindergeld gem. § 64 Abs. 1 nur an einen Berechtigten zu zahlen ist und
- dass es gem. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG an denjenigen Berechtigten zu zahlen ist, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (Obhutsprinzip).
2. Der Begriff der Haushaltsaufnahme i.S.d. § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ist unter Berücksichtigung seines Zwecks dahin auszulegen, dass ein Kind, welches sich in den Haushalten beider Elternteile in einer Besuchscharakter überschreitenden Weise aufhält, demjenigen Elternteil zuzuordnen ist, in dessen Haushalt es sich überwiegend aufhält und seinen Lebensmittelpunkt hat.
Normenkette
§ 64 Abs. 1 und 2 EStG , Art. 3 GG , Art. 6 Abs.1 GG , Art. 20 Abs.1 GG , Art. 8 EMRK , Art. 14 EMRK , Art. 7 Charta der Grundrechte der Europäischen Union , Art. 20 Charta der Grundrechte der Europäischen Union , Art. 23 Abs. 1 und 24 Charta der Grundrechte der Europäischen Union
Sachverhalt
Der Kläger war der Vater von zwei Kindern, die seit 1996 im Haushalt der geschiedenen Mutter lebten und dort ihren Hauptwohnsitz hatten. Der Mutter stand das alleinige Sorgerecht für die Kinder zu.
Der Kläger nahm im Rahmen seines Sorgerechts die Kinder jedes zweite Wochenende zu sich. Auch die Schulferien verbrachten sie zur Hälfte bei ihm. Damit lebten sie zu 65 % der Zeit bei der Mutter, zu 35 % beim Vater.
Der Beklagte hat die Kindergeldfestsetzung zugunsten des Klägers aufgehoben und das Kindergeld ab Dezember 1996 zu Gunsten der Mutter festgesetzt. Die Klage, mit der der Kläger beantragte, ihm ab November 1996 das hälftige Kindergeld zu gewähren, hatte keinen Erfolg (EFG 2003, 401).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Seien beide Elternteile kindergeldberechtigt, so sei das Kindergeld nach dem Obhutsprinzip zu gewähren. Eine Aufteilung des Kindergelds auf beide Elternteile sei nicht zulässig, gleichgültig ob es der Freistellung des Existenzminimums des Kinds diene oder der Förderung der Familie. Kindergeldberechtigt sei derjenige, der die höchsten Lasten trage, also regelmäßig derjenige, der das Kind in seinem Haushalt betreue und versorge. Diese Auslegung verstoße weder gegen das Grundgesetz, noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, noch gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Damit stehe das Kindergeld im Streitfall der Mutter zu.
Hinweis
Nach § 64 Abs.1 EStG wird Kindergeld für jedes Kind nur an einen Berechtigten gezahlt. Berechtigt ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG u.a. derjenige, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (sog. Obhutsprinzip). Fraglich war, wie zu entscheiden ist, wenn das Kind in den Haushalt beider – geschiedener – Elternteile aufgenommen ist.
Eine Aufteilung des Kindergelds auf beide Elternteile kommt nach der insoweit klaren gesetzlichen Regelung nicht in Betracht. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen dagegen schon deshalb nicht, weil zwischen den unterhaltsverpflichteten Elternteilen hinsichtlich des Kindergelds grundsätzlich ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch besteht (§ 1612b BGB). Zu klären war deshalb letztlich nur, welche Haushaltsaufnahme Vorrang hat.
Die Antwort ist mit dem Obhutsprinzip bereits vorgegeben: Kindergeldberechtigt ist derjenige Elternteil, bei dem das Kind sich überwiegend aufhält und bei dem das Kind deshalb seinen Lebensmittelpunkt hat. Denn dieser Elternteil trägt dadurch die größeren Unterhaltslasten, dass er das Kind überwiegend betreut und versorgt. Der Fall, dass das Kind von beiden Elternteilen vollständig gleich betreut und versorgt wird, wird in der Praxis wohl kaum vorkommen.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 14.12.2004, VIII R 106/03