Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Im Rahmen der Bestimmung der kürzesten Straßenverbindung nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG ist auch eine Fährverbindung einzubeziehen.
2. Besonderheiten einer Fährverbindung wie Wartezeiten, technische Schwierigkeiten oder Auswirkungen der Witterungsbedingungen auf den Fährbetrieb können dazu führen, dass eine andere Straßenverbindung als "offensichtlich verkehrsgünstiger" anzusehen ist als die kürzeste Straßenverbindung.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG
Sachverhalt
K war bei der W AG in D beschäftigt und machte bei seinen Lohneinkünften 200 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit einer einfachen Wegstrecke von 52 km geltend. Das FA berücksichtigte dagegen unter Einbeziehung einer Fährverbindung nur 25 km. Dagegen wandte sich K erfolglos; das FG wies die Klage ab (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18.5.2011, 1 K 2732/09, EFG 2012, 107).
Entscheidung
Der BFH hob aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen die Vorentscheidung insoweit auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Hinweis
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG gestattet im Rahmen der Anwendung der Entfernungspauschale ausnahmsweise die Berücksichtigung einer anderen als die kürzeste Straßenverbindung. Dies allerdings nur, wenn sie offensichtlich verkehrsgünstiger ist und vom Arbeitnehmer regelmäßig für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt wird. Das hatte der Lohnsteuersenat gerade erst entschieden; darauf wird Bezug genommen (BFH, Urteile vom 16.11.2011, VI R 46/10, BFH/NV 2012, 505, BFH/PR 2012, 109; VI R 19/11, BFH/NV 2012, 508, BFH/PR 2012, 110). Das Besprechungsurteil behandelt nun für den Sonderfall einer Fährverbindung den Ausnahmetatbestand des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 4 EStG.
1. Grundsätzlich ist bei der Ermittlung der kürzesten Straßenverbindung auch eine Fährverbindung einzubeziehen; im Gesetzgebungsverfahren war dieser Fall ausdrücklich angesprochen, aus umwelt- und verkehrspolitischen Gründen sollten zumutbare Fährverbindungen zu berücksichtigen sein (BT-Drucksache 14/4242, S. 5 f.). Das ist der Grundsatz. Angesichts dessen entschied der BFH in Fortführung seiner jüngsten Rechtsprechung allerdings (BFH, Urteile vom 16.11.2011, VI R 46/10, BFH/PR 2012, 109 und VI R 19/11, BFH/PR 2012, 110), dass der Umstand einer nicht hinreichend verlässlichen Fährverbindung, bei der häufig lange Wartezeiten und technische oder witterungsbedingte Schwierigkeiten auftreten, im Rahmen der Beurteilung der Verkehrsgünstigkeit einer Straßenverbindung zu berücksichtigen ist.
2. Weil das FG noch davon ausgegangen war, dass eine Straßenverbindung nur dann als "offensichtlich verkehrsgünstiger" i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen sei, wenn eine Zeitersparnis von mindestens 20 Minuten erzielt werde (dagegen BFH/PR 2012, 110) und auch den Einwand unberücksichtigt ließ, dass die Fährverbindung unzuverlässig sei, hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Ähnlich wie schon in den beiden jüngsten Entscheidungen dazu werden Feststellungen zu den beiden Fahrtstrecken (52 km auf Straße, 25 km mit Fährverbindung) und den dort jeweils gegebenen Verkehrsverhältnissen zu treffen sein, um beurteilen zu können, welche im Sinne der neuen Rechtsprechung (BFH/PR 2012, 109, BFH/PR 2012, 110) "offensichtlich verkehrsgünstiger" ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.4.2012 – VI R 53/11