Leitsatz (amtlich)

Sieht der Unternehmer von dem Verlangen nach einer Bauhandwerkersicherung gem. § 648a BGB ab und begnügt sich mit einer durch Bürgschaft auf erstes Anfordern abgesicherten Sicherheitsleistung, wird allein hierdurch die Inanspruchnahme des Bürgen nicht rechtsmissbräuchlich. Da es dem Unternehmer als Hauptschuldner unbenommen ist, bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine Bauhandwerkersicherung nach § 648a BGB - ggf. klagweise - zu verlangen oder gemäß Abs. 5 der Vorschrift, die weitere Leistung zu verweigern oder zu kündigen, hat der Bürge nicht das Recht, seine eigene Inanspruchnahme Zug um Zug von der Stellung einer Bauhandwerkersicherung zugunsten des Hauptschuldners abhängig zu machen. Dies gilt auch, wenn der Hauptschuldner insolvent wird.

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 12.07.2016; Aktenzeichen 20 O 175/15)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 20. Zivilkammer des LG Hannover vom 12.07.2016 geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 100.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.4.2015 zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits, mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen LG Potsdam in erster Instanz entstandenen Kosten, die die Klägerin zu tragen hat.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Streitwert: 100.000,00 EUR

 

Gründe

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung von 100.000 EUR aus einer Vorauszahlungsbürgschaft auf erstes Anfordern.

Mit Auftragsschreiben vom 09.10.2014 erteilte die Klägerin der mittlerweile in Insolvenz gefallenen B. M. GmbH in U. den Auftrag, bei einem Bauvorhaben in Hamburg Balkonbrüstungen und -geländer im vorläufigen Auftragswert von 221.000 EUR zu erstellen (Anlage K 2; Bl. 28 d.A.). Vereinbarungsgemäß leistete die Klägerin an die B. M. GmbH nicht nur verschiedene Abschlagszahlungen gemäß Baufortschritt, sondern auch eine pauschale Vorauszahlung in Höhe von 100.000 EUR. Im Gegenzug verpflichtete sich die B. M. GmbH diese von der Klägerin geleistete Vorauszahlung in Höhe von 100.000 EUR "bis zur Tilgung der Vorauszahlung durch Anrechnung auf fällige Zahlungen" durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern eines Bürgen abzusichern. Diese Bürgschaft ist von der Beklagten mit Bürgschaftsurkunde vom 06.11.2014 übernommen worden (Anlage K1; Bl. 27 d.A.). Der Bürge, so heißt es dort,

"übernimmt hiermit für den Auftragnehmer (Anm.: B. M. GmbH) die selbstschuldnerische Bürgschaft nach deutschem Recht und verpflichtet sich, jeden Betrag bis zu einer Gesamthöhe von 100.000,00 EUR an den Auftraggeber zu zahlen. Wir verpflichten uns, auf erste schriftliche Anforderung Zahlung zu leisten."

Anfang 2015 - ob und inwieweit der Auftrag zu diesem Zeitpunkt (mangelfrei) fertiggestellt war, steht zwischen den Parteien im Streit - kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin und der mittlerweile insolventen B. M. GmbH. Während Letztere aus ihrer Sicht rückständige Abschlagszahlungen gegenüber der Klägerin anmahnte, rügte diese die aus ihrer Sicht nicht rechtzeitige und nicht ordnungsgemäße Leistungserbringung. Dies führte schließlich zu einem Baustellen- und Hausverbot gegenüber der B. M. GmbH, nachdem diese bereits montierte Brüstungsgeländer wieder abmontiert hatte. Ob diese Demontage vereinbarungsgemäß dazu dienen sollte, nach der zunächst ordnungsgemäß erfolgten Montage von der Klägerin verursachte Beschädigungen wieder zu beseitigen, steht im Streit. Mit Schreiben der Klägerin vom 29.05.2015 an die B. M. GmbH wurde schließlich die Kündigung des Bauvertrags vom 09.10.2014 "gem. § 5 Nr. 4 und § 8 Nr. 3 VOB/B" erklärt (Anlage BK 2; Bl. 476 ff. d.A.).

Bereits zuvor, mit vorprozessualem Anwaltsschreiben vom 24.04. 2015, hatte die Klägerin die Beklagte aus der von ihr erteilten Bürgschaft in voller Höhe in Anspruch genommen und diese aufgefordert, spätestens bis zum 28.4.2015 100.000 EUR an die Klägerin zu leisten. Die Beklagte lehnte dies ab unter Hinweis darauf, spätestens mit der 3. Abschlagsrechnung sei die Tilgung der Vorauszahlung erfolgt, sodass sich insoweit der Sicherungszweck der Bürgschaft erledigt habe (Anlage K 5 und K 6; Bl. 32 ff. d.A.).

Die Klägerin verfolgt ihren Anspruch aus der von der Beklagten übernommenen Bürgschaft auf erstes Anfordern mit der vorliegenden Klage weiter. Sie meint, sie sei nicht verpflichtet, einen Rückzahlungsanspruch in Bezug auf die Vorauszahlung der 100.000 EUR gegenüber der mittlerweile insolventen B. M. GmbH unter Darstellung der Anfang 2015 entstandenen Streitigkeiten im Einzelnen schlüssig darzulegen. Denn die Beklagte sei aus dem Bürgschaftsvertrag verpflichtet, ohne eine solche Darlegung auf die bloße Anforderung der Klägeri...

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