Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Sittenwidrigkeit eines notariellen Ehe- und Erbverzichtsvertrages wegen unterbliebener Aufklärung des künftigen Ehegatten durch den Erblasser über dessen wahre Vermögensverhältnisse (hier: Auslandsguthaben von 300.000, Euro).
Normenkette
BGB §§ 138, 2346 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
AG Oberhausen (Beschluss vom 11.07.2012; Aktenzeichen 6 VI 320/12) |
Tenor
Das Rechtsmittel wird auf Kosten der Beteiligten zu 2 zurückgewiesen.
Wert: 150.000 EUR.
Gründe
I. Der Beteiligte zu 1 ist der Sohn aus erster Ehe, die Beteiligte zu 2 die zweite Ehefrau des am 13.1.2012 verstorbenen Erblassers, mit der er seit dem 13.5.2011 verheiratet war.
Der Beteiligte zu 1 hat am 11.4.2012 einen ihn als Alleinerben ausweisenden Erbschein beantragt.
Er hat geltend gemacht, die Beteiligte zu 2 sei infolge des Ehe- und Erbverzichtsvertrages, den der Erblasser am 23.2.2011 zu UR-Nr. 81/2011 des Notars S. in Oberhausen mit ihr geschlossen habe, nicht mehr erbberechtigt.
Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 2 und macht geltend, der Ehe- und Erbverzichtsvertrag sei nichtig, so dass der Erblasser von ihr, der Beteiligten zu 2, sowie dem Beteiligten zu 1 zu je 1/2 Anteil beerbt worden sei. Der Vertrag sei sittenwidrig (§ 138 BGB), durch Täuschung über die Höhe seines Vermögens herbeigeführt und zudem mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 BGB gegenüber dem Beteiligten zu 1 am 20.3.2012 wirksam angefochten.
Der Beteiligte zu 1 tritt dem entgegen.
Das AG - Rechtspflegerin - hat mit Beschluss vom 11.7.2012 die zur Erteilung des von dem Beteiligten zu 1 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet, die Erteilung eines entsprechenden Erbscheins angekündigt und seine Entscheidung wie folgt begründet:
Der Antrag des Beteiligten zu 1 auf Erteilung eines Alleinerbscheins sei berechtigt. Der Ehe- und Erbverzichtsvertrag sei nicht nichtig.
Eine Anfechtung eines Ehe- und Erbverzichtsvertrages (§§ 123, 142, 812, 2346 BGB) sei nach dem Erbfall nicht mehr möglich; sie könne den Erbverzicht nicht rückwirkend beseitigen.
Die gegenüber dem Beteiligten zu 1 erklärte Anfechtung des Erbverzichtsvertrages sei daher unbeachtlich.
Gründe für eine Sittenwidrigkeit des Ehe- und Erbverzichtsvertrages seien nicht ersichtlich. Der Abschluss eines notariellen Gütertrennungsvertrages sowie eines Ehe- und Erbverzichtsvertrag sei gesetzlich zulässig, wobei auch der Zugewinnausgleich, der Versorgungsausgleich und der nacheheliche Unterhalt ausgeschlossen werden könnten.
Soweit die Beteiligte zu 2 sich zum Beleg der Sittenwidrigkeit des notariellen Erbverzichts- und Abfindungsvertrages auf die Entscheidung des OLG München vom 25.1.2006 berufe, sei diese auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.
Der Ehe- und Erbverzichtsvertrag sei auch nicht mit Täuschungsabsicht des Erblassers gegenüber der Beteiligten zu 2 herbeigeführt worden und damit nichtig/sittenwidrig. Schon aus der Präambel ergebe sich als Motivation der Vertragsbeteiligten zum Abschluss des notariellen Vertrages, dass beide künftige Ehegatten sich aus eigenem Einkommen unterhalten können und die Kinder der Vertragsschließenden aus deren früheren Ehen in ihren künftigen Erb-und Pflichtteilsansprüchen nicht beeinträchtigt werden sollen.
Gerade dies spreche für die grundsätzliche Bedeutungslosigkeit der Höhe des Vermögensverzichts bei den künftigen Eheleuten. Damit sei es den Vertragsparteien in erster Linie nicht auf den Wert des Verzichts angekommen. Der Verzicht würde im Übrigen auch weitere denkbare Fälle von Vermögenszuwachsen (z.B. Lottogewinn oder Vermögenszuwachs infolge einer Erbschaft eines Ehepartners) erfasst haben.
Überdies sei davon auszugehen, dass der beurkundende Notar die künftigen Eheleute hinreichend und zutreffend über die Bedeutung und die Folgen des Vertrages belehrt hat. Im notariellen Vertrag selbst sei eine Wertangabe, über die man hätte irren können, nicht enthalten. Im Übrigen könne unter Berücksichtigung des Alters der Beteiligten zu 2 zur Zeit des Vertragsabschlusses, ihrer Berufstätigkeit, mehrerer Eheschließungen/Scheidung und der Geburt bzw. der Erziehung von Kindern auch nicht von einer Lebensunerfahrenheit und Geschäftsunerfahrenheit der Vertragsbeteiligten ausgegangen werden.
Nach dem Vorbringen des Beteiligten zu 1 sei davon auszugehen, dass der Beteiligten zu 2 bei Vertragsschluss die Vermögensverhältnisse ihres künftigen Ehemannes auch wegen der räumlichen Nähe/der gemeinsamen Wohnung (anders als in der zitierten Entscheidung des OLG München) bekannt gewesen sind.
Der hiergegen gerichteten Beschwerde der Beteiligten zu 2 mit dem Begehren, das AG anzuweisen, einen anderen Erbschein zu je 1/2 Anteil zu erteilen, hat das AG durch Beschluss vom 16.8.2012 nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Die statthafte (§§ 58 Abs. 1, 252 Abs. 3 FamFG) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde - die Entscheidung über die Anweisung des Nachlassgerichts zu...