Leitsatz (amtlich)
Ein Notar hat die Urkundsbeteiligten auf der Grundlage des Vertrages zur Bestellung des Erbbaurechts über den für den Kauf bedeutsamen Inhalt dieses Rechts zu belehren. Geht der Käufer davon aus, nach dem Erbbaurecht auch das Eigentum an dem Grundstück erwerben zu können, kann eine unzureichende notarielle Belehrung über den Inhalt des Erbbaurechts für den Entschluss zum Erwerb des Erbbaurechts nicht (mehr) kausal sein.
Normenkette
BeurkG § 17; BNotO § 19
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 15 O 198/16) |
Tenor
Das Versäumnisurteil des Senats vom 8. Oktober 2021 wird aufrechterhalten.
Die Klägerin hat auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern der Beklagte vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt gegenüber dem Beklagten die Feststellung seiner Schadenersatzverpflichtung dem Grunde nach für sämtliche Schäden, die ihr infolge von behaupteten Amtspflichtverletzungen des Beklagten als Notar anlässlich einer am 07.06.2013 vorgenommenen Beurkundung eines Kaufvertrages über ein Erbbaurecht entstanden sind und noch entstehen werden.
Die Klägerin suchte ein zum Erwerb stehendes Einfamilienhaus in F, welches sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem Zeugen G, sowie der gemeinsamen Tochter bewohnen wollte. Die Klägerin war und ist als Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht in einer Kanzlei in Bochum tätig. Der Zeuge G betreibt als niedergelassener Rechtsanwalt eine Kanzlei in F.
Bei ihrer Suche wurde die Klägerin bereits im Jahr 2012 auf das Objekt Hstraße 0 in F-I aufmerksam. Es handelt sich um ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Erbbaurechtsgrundstück. Das Erbbaurecht wurde mit notariellem Vertrag des Notars J vom 19.06.1979 (UR-Nr. 201/1979) bestellt. Eigentümer des Grundstücks und Erbbaurechtsgeber ist K. Begünstigte Erbbaurechtsnehmer waren vor dem Verkauf durch die im vorliegenden Rechtsstreit streitgegenständliche Beurkundung die unbekannten Erben der am 00.00.2011 verstorbenen Eheleute L, wobei für den Nachlass durch das Amtsgericht Münster eine Nachlasspflegschaft angeordnet und Rechtsanwalt M aus F zum Nachlasspfleger bestellt worden war.
Erste Verhandlungen der Klägerin mit dem Nachlasspfleger blieben erfolglos, weil nach Darstellung der Klägerin keine Einigung über den Kaufpreis erzielt werden konnte. Die Klägerin besichtigte im Zusammenhang mit ihrer Interessenbekundung das Objekt und erhielt ein Verkehrswertgutachten des Sachverständigenbüros N vom 07.05.2012 ausgehändigt, welches den Verkehrswert des Erbbaurechts mit 200.000,- EUR und einen Renovierungsaufwand für das Gebäude von geschätzt 26.000,- EUR auswies.
Am 14.02.2013 wurde zugunsten eines anderen Interessenten durch den Notar O aus F ein Kaufvertrag über das Erbbaurecht zu einem Kaufpreis von 140.000,- EUR (Urkundenrolle Nr. 215/2013 des Notars O) beurkundet.
Nachdem der Zeuge G von dem Umstand, dass ein anderer Erwerber das Objekt unterhalb des in dem Wertgutachten angesetzten Verkehrswertes für 140.000,- EUR erworben hatte, Kenntnis erlangt hatte, setzten sich die Klägerin und ihr Lebensgefährte erneut mit dem Nachlassverwalter in Verbindung. Die Klägerin bot jetzt 160.000,- EUR für den Erwerb des Erbbaurechts. Da sie beabsichtigte, auch das Eigentum an dem Grundstück zu erwerben, nahm sie Kontakt zu dem Eigentümer auf, um mit ihm über den Erwerb auch des Eigentums zu verhandeln. Nach dem Gespräch mit dem Eigentümer hegte sie die Erwartung, nach dem Erwerb des Erbbaurechts zeitnah auch das Eigentum an dem Grundstück erwerben zu können.
Die Klägerin beauftragte den Beklagten mit der Vorbereitung der Kaufvertragsurkunde für den Kauf des Erbbaurechts. Hierzu übersandte der Beklagte der Klägerin und dem Nachlasspfleger mit Schreiben vom 29.05.2013 einen Vertragsentwurf.
In dem Entwurf heißt es unter § 2 wie folgt:
"Dem Käufer ist der Erbbaurechtsvertrag vom 19.06.1979 [...] bekannt; er hat eine entsprechende Kopie der Urkunde erhalten. Auf erneutes Verlesen und Beifügen dieses Erbbaurechtsvertrages zu der heutigen Urkunde wurde jedoch allseits verzichtet. Der Käufer übernimmt sämtliche Rechte und Verpflichtungen aus dem Erbbaurechtsvertrag mit Wirkung ab Besitzübergang, so dass der Verkäufer vom Zeitpunkt des Besitzüberganges an von diesen Verpflichtungen freigestellt ist."
Der in dem Kaufvertrag in Bezug genommene Erbbaurechtsvertrag enthält in § 6 eine Instandhaltungsverpflichtung des Erbbauberechtigten. § 6 Abs. 2 S. 2 regelt, dass erforderliche Ausbesserungen und Erneuerungen stets unverzüglich vorzunehmen sind, Satz 3, dass die die Gebäude nach (teilweiser) Zerstörung durch Brand oder aufgrund sonstiger Einwirkungen sofort wiederherzustel...