Leitsatz (amtlich)

1. Eine Hüfttotalendoprothese, die zu erhöhten und gesundheitlich bedenklichen Metallabscheidungen in der Konussteckverbindung führt, ist fehlerhaft, denn der Verkehr erwartet, dass eine Hüftprothese kein Metall - Abriebpartikel oder Metallionen - in solchen Mengen in den Körper abscheidet, dass diese gesundheitsgefährdend sein können. Etwas Anderes gilt nur, soweit solche Abscheidungen zwangsläufig hingenommen werden müssen, wie etwa ein gewisses Mindestmaß von Abrieb in der Gleitpaarung. Wenn in der Gleitpaarung nur wenig Abrieb entsteht, akzeptiert ein Patient nicht, dass stattdessen an anderer Stelle vermeidbare korrosionsbedingte Metallausscheidungen auftreten.

2. Die Korrosion als Ursache der Metallausscheidungen hätte weitgehend verhindert werden können, wenn der Konusadapter während der Implantation mit hoher Kraft auf den Prothesenschaft gefügt worden wäre. Eine Operationsanleitung, die hierfür lediglich einen "leichten Schlag" vorsieht, ist fehlerhaft (Instruktionsfehler i.S.v. § 3 ProdHaftG).

3. Ein kräftiger Schlag mit einem schweren Hammer kann ausreichen, um eine Kraft von 7 kN aufzubringen. Dieses Ergebnis ist aber nicht sicher reproduzierbar (Konstruktionsfehler i.S.v. § 3 ProdHaftG).

4. Soweit der Hersteller die Kausalität zwischen fehlerhaftem Produkt und Schaden mit der Behauptung verneinen will, das von ihm in Verkehr gegebene Produkt sei nachträglich durch falschen Einbau oder Reinigung negativ beeinflusst worden, trägt er die Beweislast (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 S. 2 ProdHaftG).

5. Die Haftung kann nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG nur ausgeschlossen sein, wenn der Hersteller beweist, dass der Produktfehler zum Zeitpunkt der Inverkehrgabe des konkreten Produkts nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war. Es kommt dabei nicht auf die konkrete Gefährlichkeit des einzelnen Implantats, sondern allein die Gefährlichkeit der Konstruktion des Prothesentyps an. Der Hersteller geht mit dem Inverkehrbringen ein Risiko ein, für dessen Eintritt er auch haftet, wenn er es im Einzelfall nicht vorhergesehen hat. Die unzutreffende Annahme des Herstellers, eine bekannte Gefahr beseitigt oder behoben zu haben, reicht nicht aus, um einen sog. Entwicklungsfehler im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG anzunehmen, für den der Hersteller nicht einzustehen hat.

6. Eine Ersatzpflicht des Herstellers ist nicht ausgeschlossen, weil ihm das Zeichen "CE-Kennzeichnung" zuerkannt worden ist. Dies besagt nicht, dass die potenzielle Gefährlichkeit des Produkts unter Zugrundelegung des im Zeitpunkt seiner Inverkehrgabe objektiv zugänglichen Gefahrenwissens nicht hätte erkannt werden können. Daher ist auch die Frage, ob alle nach dem damaligen Stand vorgesehenen Tests absolviert wurden, für die Frage der Erkennbarkeit nicht entscheidend.

 

Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 1 O 240/10)

 

Tenor

1. Die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 15.10.2018, Az. 1 O 240/10, werden zurückgewiesen.

2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der durch die Nebenintervention verursachten Kosten zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 33.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger macht gegenüber den Beklagten Ansprüche auf Schmerzensgeld sowie auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schadens wegen der Implantierung einer Großkopf-Hüfttotalendoprothese geltend.

Der Kläger litt an einer schweren Coxarthrose (Hüftgelenksverschleiß) der rechten Hüfte und wurde daher am 24.06.2005 im Lo.-Krankenhaus der Streithelferin mit einer Du.Me.kopf-Hüfttotalendoprothese versorgt. Die Beklagte Ziffer 2 ist die Herstellerin dieser sogenannten Großkopfprothese. Die Beklagte Ziffer 1 hat sie erstmals im Jahr 2003 in den Europäischen Wirtschaftsraum importiert. Zuvor wurden sogenannte Kleinkopfprothesen mit einem Durchmesser von 28 mm verwendet.

Das Prothesensystem bestand aus einer Hüftpfanne der Marke Du. Größe 58 mm, einem Prothesenkopf der Marke Me., Durchmesser 52 mm, Größe S, einem Konusadapter der Größe S und einem Prothesenschaft der Größe 12,5 mit einem Konusschaft von 14 mm. Pfanne und Prothesenkopf bilden die Metall-auf-Metall-Gleitpaarung oder Artikulation, die die Bewegung ermöglicht. Der Prothesenkopf verfügt auf seiner Unterseite über einen konischen Hohlraum, in den vor der Implantation der Konusadapter eingeschlagen wird. Der Konusadapter, der auch als Adapterhülse bezeichnet wird, ist ein ebenfal...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge