Leitsatz (amtlich)
Zur (gesamtschuldnerischen) Haftung von Flaschen- und Getränkehersteller für eine durch Explosion einer Einwegglasflasche mit einem kohlensäurehaltigen Getränk verursachte Körperverletzung:
1. Der Ausschlusstatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG, wonach eine Haftung des Herstellers für den infolge eines Produktfehlers entstandenen Schaden dann ausgeschlossen ist, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler vor dem Inverkehrbringen noch nicht hatte, erfordert einen vom Hersteller zu erbringenden Nachweis eines nach dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produktes liegenden Geschehensablaufes, der nach allgemeiner Lebenserfahrung die Schlussfolgerung auf den späten Zeitpunkt des Fehlereintritts plausibel erscheinen lässt.
2. Eine nur theoretisch mögliche Beschädigung beim Einzelhändler entlastet den Hersteller ebenso wenig wie eine die übliche Beanspruchung nicht übersteigende Handhabung des Kunden, die nach dem wahrscheinlichen Verlauf der Dinge keine Produktbeschädigung zur Folge hat.
3. Allein das vom Hersteller geübte sorgfältige und auf die Verhinderung von Fabrikationsfehlern angelegte Produktions- und Kontrollverfahren stellt für sich genommen keinen besonderen Umstand i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG dar, der gegen das Vorliegen eines Ausreißers sprechen würde.
Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 14.04.2010; Aktenzeichen 14 O 5672/06) |
Tenor
1. Die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil des LG München II vom 14.4.2010 werden zurückgewiesen.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin von der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 65,888,75 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Die Klägerin fordert von den Beklagten als Gesamtschuldner Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Unfalls am 30.7.2004, bei dem die Klägerin nach ihrer Darstellung durch herumfliegende Glassplitter einer explodierten Piccolo-Flasche erheblich verletzt worden ist.
Das LG hat nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugen ... und ... folgenden Sachverhalt festgestellt: Die Klägerin, damals Fachlehrerin für Sport und Textilarbeit an der ...schule in ...' nahm am 30. Juli 2004 - dem letzten Schultag vor den Sommerferien - gegen 11.30 Uhr an einer Dienstbesprechung mit Ehrung im Schulhof der ...schule teil, in deren Rahmen der Rektor der Schule, der Zeuge L., damit begonnen hatte, den 21 Lehrern des Lehrerkollegiums jeweils eine Flasche Piccolo 0,2 I der Marke MM zu überreichen. Beim Übergeben einer Flasche an die Lehrerin ... explodierte die Flasche in der Hand des Rektors. Von umherfliegenden Glassplittern wurde die Klägerin am rechten Auge getroffen und verletzt. Die Beklagte zu 1) hatte den Flascheninhalt hergestellt und in die Flasche abgefüllt. Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um die Herstellerin der Glasflasche.
Die Klägerin hält beide Beklagten wegen der verletzungsbedingten materiellen und immateriellen Schäden für ersatzpflichtig. Sie fordert von den Beklagten als Gesamtschuldner zum einen Zahlung von 768,75 EUR (Haushaltsführungsschaden) und 928 EUR (außergerichtliche Anwaltskosten) sowie Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 50,000 EUR und zum anderen die Feststellung der Ersatzpflicht für sämtlichen materiellen Zukunftsschaden, soweit dieser nicht auf Dritte übergegangen ist.
Die Beklagten bestreiten schon einen Fehler der Glasflasche. Sie meinen außerdem, jedenfalls sei davon auszugehen, dass die Glasflasche erst nach dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens durch die jeweilige Beklagte infolge mechanischer Beanspruchung fehlerhaft geworden sei, und zwar entweder anlässlich des Aufschneidens des Verpackungskartons beim Einzelhändler oder beim Einlegen der entpackten Einzelflaschen in eine Plastikwanne durch den Zeugen L. mit anschließendem Transport der Flaschen vom Büro des Rektors in den Pausenhof der Schule. Außerdem bestreiten sie das Ausmaß der klageseits behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die Höhe des materiellen Schadens.
Das LG hat nach Einholung eines Gutachtens des für die Sachgebiete Getränkeverpackung und Bruchmechanik von Glasflaschen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Prof. Dr. V. am 14.4.2010 ein Grund- und Teilurteilurteil erlassen, mit dem es - den Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen des oben geschilderten Sachverhalts gegen beide Beklagten als Gesamtschuldner dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärte und - feststellte, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materiellen zukünftigen Schäden zu ersetzen, die aus Verletzungen und Folgebeeinträchtigungen der Klägerin aus obigem Sachverhalt resultieren, soweit die A...