Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Begriff des beweglichen Geschäftsraums iSd § 312b Abs. 2 S. 1 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der "bewegliche" Geschäftsraum iSd § 312b Abs. 2 S. 1 BGB ist nicht physikalisch zu verstehen oder fliegenden Bauten gleichzusetzen. Abzustellen ist darauf, ob der Geschäftsraum nur für eine vorübergehende Zeit betrieben wird. Grundsätzlich kann ein "beweglicher Geschäftsraum" auch unter freiem Himmel sein.

2. Ob ein Unternehmer seine Tätigkeit in einem beweglichen Geschäftsraum für gewöhnlich ausübt, bestimmt sich nach dem Schutzzweck des in § 312g Abs. 1 BGB normierten Widerrufsrechts, das den Verbraucher vor psychischen Druck und dem Überraschungsmoment außerhalb von Geschäftsräumen schützen soll.

3. Die gewöhnliche Tätigkeit des Unternehmers umfasst auch dessen Auftreten auf Märkten oder Messeständen, insbesondere dann, wenn der Verbraucher nicht mit dem Abschluss eines Vertrages über bestimmte Waren rechnen muss. Abzustellen ist auf den Charakter der Messe und das konkrete Angebot, das zum Abschluss des Vertrages geführt hat.

 

Normenkette

BGB § 312b Abs. 2, § 312g Abs. 1-2, § 355 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Traunstein (Urteil vom 25.07.2016; Aktenzeichen 7 O 2383/15)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 10.04.2019; Aktenzeichen VIII ZR 82/17)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Traunstein vom 25.07.2016, Az. 7 O 2383/15, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des LG Traunstein ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte ihrerseits Sicherheit leistet in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.595,20 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Tatbestand (abgekürzt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO)

Der Kläger will im Wege der Feststellungsklage die Wirksamkeit eines von ihm erklärten Widerrufs hinsichtlich eines von ihm mit der Beklagten abgeschlossenen Vertrages bestätigt erhalten. Er hat am 20.4.2015 auf der alle zwei Jahre in R. stattfindenden "Messe R." mit der Beklagten an einem von dieser betriebenen Messestand einen Kaufvertrag über eine Einbauküche abgeschlossen. Noch am selben Tag hat der Kläger diesen Vertrag widerrufen (K 2).

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen des LG, insbesondere zu den Einzelheiten des Zustandekommens des Vertrages und den Modalitäten der Messe, hinsichtlich des beiderseitigen Parteivortrags, der jeweils vorgetragenen Rechtsstandpunkte und der vom LG für maßgeblich erachteten Gesichtspunkte wird auf das angefochtene, die Klage abweisende Endurteil des LG Traunstein Bezug genommen.

Der Kläger verfolgt seinen Feststellungsantrag im Wege der Berufung fort. Er macht geltend, entgegen der Auffassung des LG sei der Vertragsabschluss hier außerhalb von Geschäftsräumen im Sinne von § 312b Abs. 2 BGB erfolgt, weswegen er zum Widerruf des Vertrages berechtigt und der von ihm erklärte Widerruf daher wirksam sei. Entgegen der Auffassung des LG handele es sich bei der Messe R. um keine reine Verkaufsmesse, sondern primär um eine Informationsveranstaltung, wobei zwar mit der Veräußerung kleinerer Utensilien gerechnet werden möge, nicht aber mit dem Abschluss von Verträgen über namhafte Summen. Hinsichtlich letzterer liege aus Sicht des Verbrauchers eine Überrumpelungssituation vor, vor der der neu geschaffene § 312b BGB den Verbraucher schützen wolle. Die Beklagte, die unstreitig erstmals auf der Messe Rosenheim mit einem Stand vertreten war, habe ihre Tätigkeit im Sinne von § 312b Abs. 2 Satz 1 BGB dort entsprechend auch nicht "für gewöhnlich" ausgeübt. Der Kläger habe mit seiner Frau zusammen ohne Kaufabsicht die Messe besucht. Dem eigentlichen Vertragsschluss seien auch nur sehr oberflächliche Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten am vorgesehenen Aufstellort der Küche vorausgegangen. Stattdessen habe der Verkäufer die Ehefrau des Klägers umschmeichelt und den Kläger mit einer Flasche Sekt und einem kostenlosen Topfset "geködert". Der Vertragstext, der so gut wie keine Spezifikationen bezüglich der Küche enthält, belege, dass es der Beklagten nur um einen schnellen und den Vertragspartner überraschenden Vertragsabschluss gegangen sei.

Der Kläger beantragt:

I. Das Endurteil des LG Traunstein vom 25.07.2016 zum Aktenzeichen 7 O 2383/15 wird aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die auf den Abschluss des Kaufvertrages vom 20.4.2015 gerichtete Willenserklärung des Klägers und Berufungsklägers von diesem wirksam widerrufen wurde und der Beklagten und Berufungsbeklagten aufgrund des Widerrufs keine Ansprüche mehr aus dem Kaufvertrag vom 20.04.2015 gegen den Kläger und Berufungskläger zustehen.

III. Die Beklagte und Berufungsbeklagte trägt die Kosten de...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?