Entscheidungsstichwort (Thema)

Handelsvertreterausgleich

 

Leitsatz (amtlich)

1. Schließt ein Unternehmen für den Vertrieb von ihm produzierter Brillen verschiedener Marken/Kollektionen Handelsvertreterverträge ab, in denen es dem einzelnen Handelsvertreter von vornherein zum Vertrieb in bestimmten Gebieten nicht seine gesamte Produktpalette, sondern jeweils nur einzelne Kollektionen/Marken zuweist, dann sind die von einem Handelsvertreter für eine ihm zugewiesene neue Marke/Kollektion gewonnenen Optiker als Neukunden anzusehen, auch wenn diese bereits Kunden anderer Marken/Kollektionen des Unternehmens waren.

2. Aufgrund der besonderen Vertragsgestaltung und der von dem Unternehmen aufgebauten Vertriebsstruktur ist bei der Abgrenzung zwischen Neu- und Altkunden keine rein branchenbezogene Betrachtung anzustellen.

3. Dem Umstand, dass Optiker bereits Kunden der vom Unternehmen hergestellten und vertriebenen anderen Marken/Kollektionen sind und dass das Unternehmen dem jeweiligen Handelsvertreter die Kundendaten zur Verfügung stellt, ist im Rahmen der vorzunehmenden Billigkeitsprüfung nach § 89b Abs. 1 Ziff. 2 HGB durch einen substantiellen Abschlag Rechnung zu tragen.

 

Normenkette

HGB § 89b

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 29.06.2010; Aktenzeichen 13 HKO 20686/09)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 06.10.2016; Aktenzeichen VII ZR 328/12)

BGH (Beschluss vom 14.05.2014; Aktenzeichen VII ZR 328/12)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG München I vom 29.6.2010 - 13 HKO 20686/09, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das angegriffene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, falls nicht die Klägerin vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht mit ihrer Klage Ansprüche aus einem beendeten Handelsvertreterverhältnis geltend. Sie begehrt Buchauszug und danach noch zu beziffernde Provisionszahlungen. Außerdem beansprucht sie Handelsvertreterausgleich i.H.v. 40.925,61 EUR.

Die Beklagte stellt Brillen her und vertreibt diese unter bestimmten Markennamen. Mit dem Vertrieb sind etwa 50 Handelsvertreter betraut, die in den ihnen zugewiesenen Gebieten bestimmte Kollektionen/Marken an die dortigen Optiker vertreiben.

Am 15.9.2008 schlossen die Parteien Agenturverträge ab, wonach die Klägerin als Gebietsvertreterin mit dem Vertrieb der neu in das Sortiment der Beklagten aufgenommenen Brillenkollektionen cK C. K. und F. in den Postleitzahlgebieten 40 bis 45 betraut worden ist. Hinsichtlich der weiteren Vereinbarungen zwischen den Parteien wird auf die Anlagen K 1 bis K 3 verwiesen.

Das Vertriebssystem der Beklagte ist dabei so organisiert, dass in einem Gebiet jeweils verschiedene Handelsvertreter mit dem Vertrieb von einzelnen, diesen jeweils gesondert zugewiesenen Brillenmarken betraut sind. Die Klägerin erhielt von der Beklagten eine Liste ausgehändigt, in der bisherige Kunden der Beklagten, d.h. Optiker, die von anderen Handelsvertretern der Beklagten für die von diesen vertriebenen Marken gewonnen worden waren, verzeichnet waren. Die Klägerin vermittelte bis Juni 2009 für Brillen der Marken cK C. K. und F. Kaufverträge u.a. mit Optikern, die in der Liste aufgeführt waren.

Nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses begehrt die Klägerin Buchauszug, danach zu beziffernde Provisionen und Handelsvertreterausgleich.

Das Erstgericht hat durch Teil- und Grundurteil den Anspruch auf Buchauszug zuerkannt und den Handelsvertreterausgleichsanspruch dem Grunde nach für begründet erachtet. Es sah einen wichtigen Grund für die Kündigung nicht gegeben, so dass deshalb ein Ausgleichsanspruch nicht ausscheide. Außerdem ist es dem Vortrag der Klägerin insofern gefolgt, als es alle von der Klägerin für die Marken cK C. K. und F. gewonnenen Kunden als Neukunden bewertete und deshalb dem Grunde nach einen Handelsvertreterausgleichsanspruch bejahte. Das LG berücksichtigte die Tatsache, dass der Klägerin insbesondere durch die übermittelten Kundenlisten der Zugang zu den Optikern erleichtert worden sei, dadurch, dass es einen Ausgleichsanspruch unter Billigkeitsgesichtspunkten lediglich i.H.v. 50 % für angemessen ansah.

Gegen das Grundurteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie hatte zunächst in ihrer Berufungsbegründung auch die vom LG angenommene Unwirksamkeit ihrer außerordentlichen Kündigung angegriffen. Hiervon hat sie im Laufe des Berufungsverfahrens Abstand genommen, nachdem der Senat in seinem Hinweisbeschluss vom 22.11.2010 auf die Entscheidung des EuGH vom 28.10.2010, Az: C-203/09, hingewiesen hatte. Die Beklagte greift nunmehr das Erstgericht nur noch insofern an, als dieses in seinen Entscheidungsgründen die von der Klägerin geworbenen Kunden als Neukunden bewertete und deshalb einen Handelsvertreteraus...

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