Leitsatz (amtlich)
1. Zur Geschäftsführerhaftung nach § 43 GmbHG im Zusammenhang mit Phishing-E-mails.
2. Die Haftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG setzt die Verletzung einer spezifisch organschaftlichen Pflicht des Geschäftsführers voraus.
Normenkette
GmbHG § 43 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Urteil vom 04.10.2021; Aktenzeichen 2 HK O 8/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Vorsitzenden der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 04.10.2021, Az. 2 HK O 8/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist ebenso wie das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 72.281,82 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die klagende GmbH, die weltweit mit Flächenbeschichtungsfolien handelt, begehrt von der Beklagten, ihrer früheren (Mit-) Geschäftsführerin, Schadensersatz wegen behaupteter Pflichtverletzungen anlässlich der Überweisung von Geldern der Gesellschaft auf Konten Dritter im Ausland.
Die Beklagte war neben dem Gründungs- und Alleingesellschafter I. R. seit 2009 Geschäftsführerin der Klägerin. Ihre Tätigkeit für die Klägerin endete im Dezember 2020 unter Umständen, welche im Tatsächlichen zwischen den Parteien streitig sind und worüber diese einen Rechtsstreit umgekehrten Rubrums führen; streitgegenständlich dort sind die Beendigung der Geschäftsführerstellung bzw. des Anstellungsvertrages der (hiesigen) Beklagten sowie Zahlungsansprüche, deren sie sich aus ihrer früheren Organstellung gegen die (hiesige) Klägerin berühmt (Verfahren des Senats 4 U 70/22 = 9 O 43/21 LG Frankenthal (Pfalz)).
Den von der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Schadensersatzansprüchen liegt Folgendes zugrunde:
Einer der wesentlichen Lieferanten und Geschäftspartner der Klägerin ist die in Seoul/Südkorea ansässige W. Co. Ltd (fortan: W.). Die Kommunikation der Klägerin mit diesem Unternehmen erfolgte im Allgemeinen über E-Mail, wobei zentraler Ansprechpartner in Seoul seit Anfang April 2020 die Account-Managerin "S." war, deren E-Mail-Adresse sales@w...film.com lautet. Ab Anfang Mai 2020 kommunizierte ein unbekannt gebliebener Betrüger mit der Beklagten unter der E-Mail-Adresse sales@w...flim.com mit sogenannten Phishing-E-Mails, die als Absender den Namen "S." aufwiesen. Der Beklagten fiel die abweichende E-Mail-Adresse ("w...flim" statt "w...film") zunächst nicht auf. Sie tätigte zwecks Begleichung von Forderungen von W. gegen die Klägerin auf entsprechende Aufforderungen von "S." mehrere Geldüberweisungen auf verschiedene in den Phishing-E-Mails genannte Bankkonten in mehreren Ländern. Nachfolgend kam es seitens der Beklagten in der Zeit zwischen Mai und Anfang September 2020 zu Überweisungen an (nach irrtümlicher Auffassung der Beklagten) die W. wie folgt:
- am 14.05.2020 in Teilbeträgen von 36.687,33 EUR sowie 52.543,06 EUR, mithin gesamt 91.230,39 EUR, gezahlt in US-Dollar,
- am 09.06.2020 ein Betrag von 53.967,37 US-Dollar
- am 23.07.2020 ein Betrag von 24.391,21 US-Dollar und
- am 01.09.2020 ein Betrag von 59.929,64 US-Dollar.
Die Beklagte erhielt Anfang September 2020 einen Hinweis der Hausbank der Klägerin auf Unregelmäßigkeiten und erstattete daraufhin Strafanzeige.
In der Gesellschafterversammlung der Klägerin vom 19.10.2020 beschloss deren Alleingesellschafter Igor Rodin, eine Schadensersatzklage gegen die Beklagte zu erheben und den Ersatz der von dieser auf der Grundlage von Phishing-E-Mail geleisteten Zahlungen zu verlangen, wobei seitens der Klägerin von einer Gesamtschadenssumme von 137.328,13 US-Dollar ausgegangen wurde.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, einen Betrag in Höhe von 137.828,13 US-Dollar nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, sowie einen Betrag in Höhe von 91.230,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zu ihrem erstinstanzlichen Antrag hat die Klägerin nach der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz, nachdem die Beklagte Einwände auch gegen die behauptete Schadenshöhe erhoben hatte, mit nachgelassenen Schriftsatz vom 23.08.2021 ergänzend ausgeführt: Die Klageforderung müsse zum einen um einen Betrag von 53.967,37 US-Dollar "vermindert" werden, da dieser Betrag der Klägerin nachträglich wieder gutgeschrieben worden sei. Zum anderen hat die Klägerin hinsichtlich der Schadensposition in Höhe von 91.230,39 EUR in dem genannten Schriftsatz zugestanden, die betreffenden Überweisungen seien auf das "echte" Konto der W. geflossen und die ...