Leitsatz
1. Eine juristische Person ist i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG finanziell eingegliedert, wenn der Organträger über eine eigene Mehrheitsbeteiligung verfügt.
2. Für die organisatorische Eingliederung muss der Organträger im Regelfall mit der juristischen Person über deren Geschäftsführung personell verflochten sein.
Normenkette
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 6. EG-RL, Art. 11 EG-RL 112/2006
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, erbrachte Leistungen gegen Entgelt an eine GmbH & Co. KG. Gesellschafter der GmbH waren je hälftig D und ihre Tochter B. B war einzige Geschäftsführerin der Klägerin. Die Mutter (D) war zudem alleinige Kommanditistin einer KG und Alleingesellschafterin der Komplementär-GmbH (V-GmbH) dieser KG. D war auch einzige Geschäftsführerin der V-GmbH. Die Tochter B wurde im Oktober 2007 als weitere Geschäftsführerin bei der V-GmbH bestellt. Die KG betrieb steuerfrei ein Seniorenheim.
Das Finanzamt ging davon aus, dass die Klägerin in den Jahren 2003 bis 2008 steuerpflichtige Leistungen an die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte KG erbracht habe. Die Klage zum Finanzgericht (FG Münster, Urteil vom 12.2.2013, 15 K 4005/11 U, AO, Haufe-Index 6930680 EFG 2014, 1344) hatte keinen Erfolg. Zwischen der Klägerin und der KG habe insbesondere keine Organschaft bestanden.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Entsprechend bisheriger Rechtsprechung sei die Klägerin nicht finanziell in das Unternehmen der KG eingegliedert gewesen. Zudem habe es bis Oktober 2007 auch an der organisatorischen Eingliederung gefehlt.
Hinweis
1. Die Organschaft setzt gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine finanzielle, organisatorische und wirtschaftliche Eingliederung voraus. Die Organschaft soll der Verwaltungsvereinfachung dienen.
a) Die finanzielle Eingliederung erfordert eine Beteiligung, die eine gesellschaftsrechtliche Willensdurchsetzung durch Mehrheitsbeschlüsse ermöglicht. Die Beteiligung muss der Organträger entweder selbst unmittelbar oder mittelbar über andere Tochtergesellschaften an der Organgesellschaft halten. Erforderlich ist im Regelfall die Mehrheit der Stimmrechte. Danach ist z.B. eine nur mittelbare finanzielle Eingliederung zwischen zwei Schwestergesellschaften ohne Einbeziehung des gemeinsamen Mehrheitsgesellschafters in den Organkreis als Organträger nicht möglich.
b) Die organisatorische Eingliederung verlangt, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt. Im Regelfall muss hierfür eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der Organgesellschaft bestehen. Damit stellt der BFH eigentlich keine hohen Anforderungen. Sind für eine Organ-GmbH z.B. mehrere einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer bestellt, reicht es aus, dass zumindest einer von ihnen auch Geschäftsführer der Organträger-GmbH ist, der Organträger über ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der Organ-GmbH verfügt und zur Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der Organ-GmbH berechtigt ist.
2. Das nationale Recht steht in einem Spannungsverhältnis zum Unionsrecht.
a) Die Organschaft beruht unionsrechtlich auf Art. 11 EG-RL 112/2006 (= MwSt-SystRL) – früher Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-RL (VO EWG 388/77) –, der die Mitgliedstaaten ermächtigt, mehrere Personen zu einem Steuerpflichtigen zusammenzufassen, wenn sie durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind. Die Regelung dient der Verwaltungsvereinfachung und der Missbrauchsverhinderung.
b) Die EuGH-Rechtsprechung hierzu ist nicht sehr klar. Zwar sieht der EuGH die Richtlinie als nicht "hinreichend genau" an, da die Voraussetzung der engen Verbindungen einer "Präzisierung auf nationaler Ebene" bedarf. Die Annahme eines Unterordnungsverhältnisses zum Organträger geht allerdings über die allgemeine Präzisierungsbefugnis hinaus. Die Mitgliedstaaten könnten hierauf aber zu Verhinderung von Missbrauch, Hinterziehung oder Umgehung abstellen (EuGH, Urteil vom 16.7.2015, C–108/14, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt, EU:C:2015:496, BFH/NV 2015, 1549).
3. Obwohl danach unionsrechtlich grundsätzlich weniger strenge Voraussetzungen an die Verbindung gemäß Art. 11 EG-RL 112/2006 zu stellen sind als an die Eingliederungsvoraussetzungen nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung, hält der BFH an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, ohne hierin einen Widerspruch zum Unionsrecht zu sehen.
a) Entscheidend ist für den BFH das Erfordernis einer rechtssicheren Besteuerung. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Unionsrechts gehört der Grundsatz der Rechtssicherheit. Dieser ist auch im Bereich der Organschaft als Regelung zur Verlagerung der Steuerschuld für Drittumsätze von der Organgesellschaft auf den Organträger zu beachten. Über die Voraussetzungen der Organschaft ist daher nach möglichst einfachen und rechtssicheren Kriterien zu entsch...