Sachverhalt
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs ging es um die Auslegung von Art. 28b Teil F Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie (Ort der Dienstleistung bei Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen (diese Bestimmung wurde durch § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 2 UStG i.d.F. bis 31.12.2009 umgesetzt); ab 1.1.2007: Art. 52 Buchst. c und Art. 55 MwStSystRL; ab 1.1.2010 fällt der Ort dieser Leistungen im B2B-Bereich unter die Grunderegel nach Art. 44 MwStSystRL) sowie Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie (Steuerbefreiung für Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin; ab 1.1.2007: Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL). Vor dem BFH war die Steuerpflicht der ärztlich veranlassten Vermehrung von Knorpelzellen streitig, die der Reimplantation in den Körper des Patienten dienen sollte. So war zum einen der Ort dieser Dienstleistungen, zum anderen die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung für Heilbehandlungen umstritten.
Die Klägerin, ein in Deutschland ansässiges Biotechnologie-Unternehmen, erbrachte u. a. Leistungen an Ärzte und Kliniken in anderen EU-Mitgliedstaaten. Die Leistungen bestanden in der Herauslösung von Gelenkknorpelzellen aus menschlichem Knorpelmaterial, das von den Ärzten bzw. Kliniken Patienten entnommen worden und der Klägerin zugesandt worden war, sowie der anschließenden Vermehrung dieser Knorpelzellen. Am Ende dieses Prozesses wurden die Zellen - teilweise nach Einbringung in eine Kollagen-Membran ("Knorpelpflaster") - dem Arzt bzw. der Klinik zur Implantation bei dem jeweiligen Patienten übersandt. In ihren Rechungen wies die Klägerin die USt-IdNr. der Leistungsempfänger aus. Das Finanzamt behandelte diese Umsätze als im Inland steuerpflichtig (ging also nicht von einer steuerfreien Heilbehandlungsleistung aus). Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass ihre Leistungen am jeweiligen Ort ihrer Leistungsempfänger zu besteuern seien.
Nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 1 UStG idF bis 31.12.2009 lag der Leistungsort grundsätzlich an dem Ort, an dem der leistende Unternehmer jeweils zum wesentlichen Teil tätig wird, das war regelmäßig der Ort, an dem die sonstige Leistung tatsächlich bewirkt wird. Verwendete der Leistungsempfänger jedoch eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte USt-IdNr., verlagerte sich der Leistungsort in den Mitgliedstaat der verwendeten USt-IdNr. (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 2 UStG idF bis 31.12.2009). Diese Ortsverlagerung erfolgte aber nur in den Fällen, in denen der be- oder verarbeitete Gegenstand nicht in dem Mitgliedstaat verblieb, in dem die Leistung tatsächlich ausgeführt wurde. Fraglich in dem vorliegenden Verfahren war, ob sich nach Gemeinschaftsrecht der Leistungsort automatisch in den Mitgliedstaat verlagerte, der dem Leistungsempfänger eine USt-IdNr. erteilt hatte. Die Verwaltung ging davon aus, dass sich nach Art. 28b Teil F Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie der Leistungsort in den Mitgliedstaat verlagerte, der dem Leistungsempfänger die USt-IdNr. erteilt hatte, unter der diesem die - jeweilige - Leistung erbracht wurde. Übersetzt bedeutete dies, dass der Leistungsempfänger dem leistenden Unternehmer seine USt-IdNr. mitteilen musste, unter der ihm die Dienstleistung erbracht oder erbracht wurde. Der BFH war in seinem Vorlageersuchen offenbar der Ansicht, dass eine Leistung bereits dann unter der USt-IdNr. des Leistungsempfängers erbracht wurde, wenn diese in der Rechnung des leistenden Unternehmers angeführt war, ohne dass eine ausdrückliche schriftliche Vereinbarung über ihre Verwendung getroffen werden musste.
Entscheidung
Der EuGH hat in seinem Urteil nur zur Frage der Steuerbefreiung Stellung genommen. Da er die Steuerfreiheit der Vermehrung von Knorpelzellen bejaht hat, war für ihn die Frage des Leistungsortes irrelevant.
Nach dem Urteil dient das Gesamtverfahren der Entnahme von Knorpelzellen durch den behandelnden Arzt, deren Isolierung und Vermehrung sowie die spätere Reimplantation insgesamt einem therapeutischen Zweck. Die im Ausgangsverfahren streitigen Dienstleistungen seien ein "unerlässlicher, fester und untrennbarer Bestandteil" dieses Verfahrens und deshalb nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie zu befreien. Zudem hängt die Steuerbefreiung nicht davon ab, dass die Knorpelzellen ihrem Spender wieder implantiert werden. So hatte der BFH noch seine Vorlagefrage formuliert.
Eine neue Erkenntnis aus dem Urteil ist, dass die Einstufung einer Dienstleistung als "Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin" nur von ihrem eigenen Charakter abhängt, ohne dass die Verfügbarkeit einer pharmazeutischen Alternative erheblich wäre. Das heißt, eine pharmazeutische Alternative, wie z.B. die Abgabe eines Medikaments, das als steuerpflichtige Lieferung anzusehen ist, ändert nichts an der Steuerfreiheit der betreffenden Dienstleistung.
Hinweis
Aufgrund des Urteils ergibt sich mE für das deutsche Recht hinsichtlich § 4 Nr. 14 UStG kein Änderungsbedarf. Die Auslegung der Steuerbefreiung für Heilbehandlungen dur...