Wenn man sich die Geschwindigkeit anschaut, mit der neue Marketing- oder Managementphilosophien im Allgemeinen in die Unternehmenspraxis eindringen, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die diesbezüglichen Unternehmensstrategien zuweilen eher von einem olympischen als von einem ökonomischen Geist beseelt sind: dabei sein ist alles und die Teilnahme wichtiger als der Sieg.
Das Finanz- und Rechnungswesen scheint weniger modeanfällig, ist es doch nach Personen und Zielsetzungen von einem durchaus gesunden Konservativismus geprägt. So vergingen seit der Gründung des International Accounting Standards Committee (IASC) in 1973 über 30 Jahre, bis die internationale Rechnungslegung Eingang in die europäische und deutsche Bilanzierungspraxis fand.
Das europäische und deutsche Bilanzrecht hatten der Globalisierung auf den Güter- und Kapitalmärkten zuvor kaum Rechnung getragen.
Beispiel
Ein Lampenhersteller, der in irgendeinem deutschen Landstrich Lampen herstellt, die er in ganz Europa vertreibt, kann sich daran freuen, dass es einen Eurostecker gibt und er nicht für jedes Land andere Stecker an seinen Lampen anbringen muss. Der gleiche Lampenhersteller musste aber, wenn er Produktions- und Vertriebsgesellschaften in verschiedenen europäischen Ländern unterhielt, in jedem Land nach einem anderen System Rechnung legen.
Dies galt/gilt selbst innerhalb der europäischen Gemeinschaft. Die EU-Richtlinien der 1980er Jahre, umgesetzt durch das BiRiliG 1987, ebenso die EU-Richtlinie aus 2013 und ihre Umsetzung durch das BilRUG, haben keine wirkliche Vereinheitlichung der europäischen Rechnungslegung gebracht. Standardisiert wurden nur die Veröffentlichungs- und Prüfungspflicht für Kapitalgesellschaften. Der zu publizierende und zu prüfende Inhalt, also die Regeln, nach denen diese Gesellschaften Rechnung legen, wurden hingegen kaum vereinheitlicht.
Beispiel
Ein niederländisches Grundstück aus der Nachkriegszeit, Verkehrswert 1 Mio. EUR, steht bisher mit 10.000 EUR in den niederländischen Büchern. Der Buchungssatz "Grundstück an Eigenkapital 990.000" wegen Neubewertung befremdet jeden deutschen Buchhalter.
Die EU-Bilanzrichtlinien haben solche Unterschiede eher zementiert. Unterschiedliche Bilanztraditionen wurden nicht durch Einigung, sondern durch Ausklammerung erledigt. Das Instrument hierzu war und ist das Mitgliedstaatenwahlrecht, das im Beispiel u. a. den Niederländern die Neubewertung zugesteht.
Ein Informationskostenproblem ergab sich hieraus nicht nur für den international agierenden Mittelständler, sondern auch für seine Bank. Deren Branchenexperten für bestimmte Industrien sitzen z. T. längst nicht mehr im Inland. Wenn also im Beispiel der Lampenhersteller eine grundlegende Neustrukturierung seiner Finanzierung braucht, werden vielleicht Bankexperten von einem anderen europäischen Finanzplatz einfliegen und das Unternehmen, seine Bilanzen und seine darauf fußenden Businesspläne untersuchen. Unwahrscheinlich, dass sie etwas vom HGB verstehen.
Im Interesse der Effizienz der konzerninternen Kommunikation, ebenso aber mit Blick auf international agierende externe Abschlussadressaten haben daher in den 1990er Jahren die großen börsennotierten Unternehmen ihre Konzernabschlüsse an internationale Bilanzierungsregeln angepasst.
Die rechtliche Möglichkeit hierzu eröffnete das KapAEG aus 1998 mit der Einführung eines § 292a in das HGB. Dies erlaubte Konzernen, deren Wertpapiere (Aktien und/oder Schuldverschreibungen) an einer Börse notieren, den Konzernabschluss nach internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen aufzustellen.
Die EU-Verordnung vom 27.5.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards für kapitalmarktnotierte Konzerne tat ein Weiteres. Kapitalmarktorientierte Unternehmen sind seit 2005 verpflichtet, ihren Konzernabschluss nach IFRS zu erstellen. Die Verpflichtung gilt "nur" für Unternehmen, deren Wertpapiere an einem organisierten Markt notiert sind, daher z. B. nicht für im sog. Open Market (Freiverkehr) notierte Unternehmen.
Die EU-Verordnung ist unmittelbares, in allen Mitgliedstaaten geltendes Recht. Den Mitgliedstaaten wird im Rahmen eines Mitgliedstaatenwahlrechts noch die Möglichkeit gegeben, die Anwendung der IFRS auch auf Konzernabschlüsse nicht börsennotierter Unternehmen und auf Einzelabschlüsse auszudehnen.
Nur das erste Wahlrecht hat der deutsche Gesetzgeber konsequent umgesetzt. Nach § 315e Abs. 3 HGB können nicht kapitalmarktorientierte Konzerne wahlweise anstelle des handelsrechtlichen (d. h. in Befreiung von diesem) einen IFRS-Konzernabschluss aufstellen und veröffentlichen. Für diese nicht börsennotierten Unternehmen stellt sich daher weiterhin die Frage,
- ob und wann eine Anpassung an internationale Rechnungslegungsgrundsätze erfolgen soll,
- in welcher Form die Anpassung vorgenommen werden soll, ob als Ersetzung des HGB-Abschlusses durch einen internationalen Abschluss oder in einer parallelen Form, d. h. als Überleitungsrechnung oder als doppelter Abschluss.