Dipl.-Finanzwirt Christian Ollick
Leitsatz
Das Hessische FG widmet sich mit Urteil vom 27.10.2020 der Frage, ob und wann gezahlte Vorsteuerbeträge als Betriebsausgaben abzugsfähig sind. Hiervon hing maßgeblich ab, ob die 410 EUR-Einkunftsgrenze für Pflichtveranlagungen erreicht und deshalb noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten war. Der BFH hat die Entscheidung im Revisionsverfahren mittlerweile komplett "gedreht".
Sachverhalt
Der Kläger reichte seine Einkommensteuererklärung 2012 erst am 30.12.2019 beim Finanzamt ein. Darin machte er unter anderem positive Renteneinkünfte und negative gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer im Jahr 2012 angeschafften Photovoltaikanlage geltend. Den Strom aus der Anlage nutzte er sowohl für seinen privaten Haushalt als auch zur Einspeisung in das öffentliche Netz. Die gezahlte Vorsteuer aus der Anschaffung der Anlage verbuchte er als sofort abzugsfähige Betriebsausgabe. Dass die Photovoltaikanlage dem unternehmerischen Bereich zugeordnet wird, hatte der Kläger erst mit Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2012 (ebenfalls am 30.12.2019) nach außen hin dokumentiert.
Das Finanzamt lehnte eine Veranlagung ab und berief sich auf die zwischenzeitlich eingetretene Festsetzungsverjährung. Da es sich um eine Antragsveranlagung handele, sei die 4-jährige Festsetzungsfrist bereits Ende 2016 abgelaufen. Der Kläger war hingegen der Auffassung, dass er mit seinen nicht lohnsteuerabzugspflichtigen Einkünften die 410 EUR-Grenze überschritten hatte, sodass eine Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vorlag und die Festsetzungsfrist aufgrund der dann geltenden 3-jährigen Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst am 31.12.2015 begann (und damit am 31.12.2019 endete).
Entscheidung
Das FG entschied, dass der Kläger zur Einkommensteuer 2012 zu veranlagen war, da die Festsetzungsfrist bei Erklärungsabgabe noch nicht abgelaufen war. Aufgrund einer Pflichtveranlagung war die 3-jährige Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO anwendbar, sodass die Frist erst zum 31.12.2019 abgelaufen war. Das Gericht ging dabei davon aus, dass die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte des Klägers, die nicht dem Steuerabzug unterfielen, über 410 EUR lag, sodass der Pflichtveranlagungstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG erfüllt war. Maßgeblich war hierfür, dass das FG den Betriebsausgabenabzug für die gezahlte Vorsteuer nicht anerkannte.
Die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug hatten nach Gerichtsmeinung nicht vorgelegen, da die Lieferung und Installation der Photovoltaikanlage nicht für das Unternehmen des Klägers ausgeführt worden war, da der Kläger diese nicht rechtzeitig seinem Unternehmensvermögen zugeordnet hatte. Die Zuordnung eines (gemischt genutzten) Gegenstands zum Unternehmen erfordert eine durch Beweisanzeichen gestützte Zuordnungsentscheidung des Unternehmers "bei Anschaffung, Herstellung oder Einlage des Gegenstandes". Nach diesen Grundsätzen hatte der Kläger die Zuordnungsentscheidung für den Vorsteuerabzug im Jahr 2012 nicht rechtzeitig gegenüber dem Beklagten dokumentiert. Er hätte die Entscheidung zeitnah innerhalb der gesetzlichen Abgabefrist für die Steuerklärung 2012 bis zum 31.5.2013, übermitteln müssen. Diese Frist war vorliegend nicht eingehalten worden, denn der Kläger hatte dem Finanzamt die Zuordnungsentscheidung erst mit Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 2012 am 30.12.2019 mitgeteilt. Da somit die Voraussetzungen des § 9b Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorlagen, war der Vorsteuerbetrag bei der Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb nicht als sofort abzugsfähige Betriebsausgabe zu berücksichtigen.
Hinweis
Der BFH hat das finanzgerichtliche Urteil zwischenzeitlich aufgehoben und die Klage abgewiesen, BFH, Urteil v. 28.7.2021, X R 35/20. Die Bundesrichter ließen offen, ob es sich um eine Antrags- oder eine Pflichtveranlagung handelte, da im Falle der Pflichtveranlagung ebenfalls Festsetzungsverjährung eingetreten war. Das FG hatte übersehen, dass für die Wahrung der Festsetzungsfrist nicht die Einreichung der Steuererklärung maßgeblich ist, sondern der Zeitpunkt, zu dem der Steuerbescheid den Bereich der zuständigen Finanzbehörde verlässt (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO). Letzterer war erst nach dem 31.12.2019 versandt worden.
Link zur Entscheidung
Hessisches FG, Urteil v. 27.10.2020, 11 K 513/20