Leitsatz
1. Ein beherrschender Gesellschafter kann Dividendenansprüche gegenüber der von ihm beherrschten Gesellschaft jedenfalls dann nicht schon vor Fassung des Gewinnverwendungsbeschlusses ("phasengleich") aktivieren, wenn nicht durch objektiv nachprüfbare Umstände belegt ist, dass er am maßgeblichen Bilanzstichtag unwiderruflich zur Ausschüttung eines bestimmten Betrags entschlossen war.
2. Durch die Ausführungen des Senats zum Erfordernis einer "Mindestbesitzzeit" in den Urteilen vom 21.5.1986, I R 190/81 (BStBl II 1986, 815) und I R 199/84 (BStBl II 1986, 794) ist die vorausgegangene Rechtsprechung zur "phasengleichen Aktivierung" nicht i.S.d. § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO geändert worden.
3. § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO greift nicht ein, wenn zunächst ein Änderungsbescheid ergeht und erst anschließend eine Rechtsprechungsänderung erfolgt, durch die der Änderungsbescheid materiell-rechtlich legitimiert wird.
Normenkette
§ 5 Abs. 1 EStG , § 176 AO
Sachverhalt
Es handelt sich um jenen Fall, der dem I. Senat des BFH seinerzeit Anlass gab, dem Großen Senat die Frage nach der phasengleichen Bilanzierung vorzulegen (vgl. Beschluss vom 16.12.1998, I R 50/95, BStBl II 1999, 551): Der Klägerin ist eine GmbH, die im Dezember 1985 von ihrer Alleingesellschafterin die Mehrheitsbeteiligung an einer AG erwarb. Die AG beschloss im Juni 1986 ihren Jahresabschluss und eine Gewinnausschüttung. Der Anspruch hierauf wurde von der Klägerin bereits zum 31.12.1985 in ihrer ebenfalls im Juni 1986 aufgestellten Bilanz auf diesen Stichtag aktiviert.
Entscheidung
Der BFH macht alle Hoffnungen auf eine phasengleiche Bilanzierung zunichte. Sowohl der Ausschüttungsent- als auch der Ausschüttungsbeschluss müssten am Bilanzstichtag als sicher festgestanden haben, der Ausschüttungswille müsse anhand objektiver Umstände nachgewiesen werden. Er müsse endgültig sein.
Hinweis
1. In seinem viel beachteten Beschluss vom 7.8.2000, GrS 2/99 (BStBl II 2000, 632) zur phasengleichen Bilanzierung von Dividendenansprüchen hat der Große Senat des BFH die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung um 180 Grad umgedreht und das Verbot einer derartigen Bilanzierung ausgesprochen – allerdings ausdrücklich nur für den Regelfall; Ausnahmen sollen offenbar möglich bleiben.
Die Frage, die sich der Rechtsanwender stellt, ist nur: Wann liegt eine solche Ausnahme vor? Ist die Tür so gut wie zugeschlagen? Oder ist mit großzügigen Ausnahmen zu rechnen? Im Schrifttum wurden insoweit schon von berufenen Geistern (Groh, DB 2000, 2444) beträchtliche Hoffnungen auf ein Rechtsverständnis geschürt, wonach die Ausnahme mehr oder weniger zum Normalfall werden könnte.
2. Solche Hoffnungen dürften jetzt zerstoben sein. Die Weichen scheinen, wie der hier vorzustellende Urteilsfall zeigt, in Richtung einer doch äußerst restriktiven Handhabung gestellt zu sein: Es muss (1.) 'objektiv nachprüfbar' feststehen, dass der beherrschende Gesellschafter (2.) am maßgeblichen Bilanzstichtag (3.) unwiderruflich und endgültig zur Ausschüttung (4.) eines bestimmten Betrags entschlossen war. Entschluss- und Ausschüttungsvermutungen und -unterstellungen werden steuerlich rigoros nicht hingenommen und nicht akzeptiert. Selbst der Erwerb der Kapitalanteile speziell zu dem Zweck, vom Verfall bedrohte Verlustvorträge zu nutzen, gibt für die Dokumentation des erforderlichen festen Ausschüttungswillens nichts her! Es nützt auch nichts, dass der zur Ausschüttung 'bereitstehende' Betrag infolge monatlicher Abschlüsse so gut wie 100 % exakt beziffert werden kann oder dass die Gesellschaft über erhebliche freie Rücklagen verfügt.
All dies ist unbeachtlich, so dass für Sie zu resümieren ist: Die phasengleiche Bilanzierung ist letztlich 'tot'. In Betracht kommt sie nur noch, wenn der Dividendenanspruch nach Grund und Höhe absolut sicher und deswegen ein 'echtes' Wirtschaftsgut ist. Ansonsten muss schon ein Konzernverhältnis mit entsprechender Abführungspflicht bestehen, um phasengleich bilanzieren zu können.
3. Nicht ganz unproblematisch erscheint der Umstand, dass der besagte Beschluss des Großen Senats ja schließlich eine deutliche Rechtsprechungsverschärfung gegenüber der vorherigen Praxis gebracht hat. Kann der Steuerpflichtige sich demgegenüber auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes berufen? Die einschlägige Verfahrensrechtsnorm hierfür ist § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO. Aber: § 176 AO erfordert einen Rechtsprechungswandel zwischen dem Erlass des ursprünglichen und dem 'verbösernden' Änderungsbescheid. Ergeht der Änderungsbescheid und ändert sich die Rechtsprechung erst anschließend, dann 'greift' § 176 AO nicht; der Änderungsbescheid wird vielmehr lediglich durch die geänderte Rechtsprechung legitimiert.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.12.2000, I R 50/95