Dipl.-Kfm. Michael Kappes, Dominik Klehr
Die zentrale Grundlage eines funktionierenden Forecast-Prozesses ist ein richtiges Prozessverständnis – gemäß der eingangs skizzierten Abgrenzung zu Planung und Zielsetzung. Wird der Forecast richtigerweise als realistische Vorhersage der voraussichtlichen Entwicklung verstanden, folgen daraus zwei Konsequenzen für das Verhalten des Top-Managements bezüglich des Forecasts:
- Zum einen müssen negative Forecast-Werte zunächst einmal akzeptiert werden. Akzeptieren heißt in diesem Zusammenhang, nicht die Werte willkürlich anzupassen, um die negative Entwicklung zu verstecken. Akzeptieren der Forecast-Werte steht dabei nicht im Widerspruch zu einer aktiven Gegensteuerung, sondern bezieht sich auf den Willen zur Transparenz hinsichtlich Ziellücken.
- Zum anderen müssen positive "Überraschungen" im Forecast, also (zu) späte Meldungen positiver Entwicklungen genauso sanktioniert werden wie negative. Ziel des Forecasts ist eine realistische Vorhersage der Zukunft ohne Verzerrung der Wirklichkeit in die eine oder andere Richtung. Auch wer positive Entwicklungen zurückhält, schadet dem Unternehmen.
Charakteristikum eines modernen Forecasts ist die Integration aller relevanten Informationen. Ein solcher Forecast geht über einen traditionellen Finanz-Forecast hinaus und integriert verschiedene Geschäftsbereiche und -funktionen. Ein einfaches Beispiel ist die Integration des Finanz-Forecast mit dem Personal-Forecast. Um operative Größen wie den Personalbestand mit finanziellen Größen zu integrieren, helfen sogenannte Treiber wie durchschnittliche Personalkosten je FTE (Vollzeitäquivalent). In Kombination mit dem Personalbestand kann man dann die Personalkosten ableiten. Abbildung 4 illustriert die Verbindung finanzieller Größen mit Treibern.
Abb. 4: Verbindung operativer Größen mit finanziellen Größen über Treiber (vereinfachte Illustration)
Die wichtigste Integration ist die Verknüpfung der sog. Sales & Operations Planung (S&OP) bzw. des Vertriebs-Forecasts mit dem Finanz-Forecast. Diese Erweiterung wird als "Integrated Business Planning" (IBP) bezeichnet. Zudem hat sich für die umfassende Integration aller relevanten Funktionen mit dem Finanz-Forecast inzwischen der Begriff "xP&A" (extended Planning & Analysis) weitgehend durchgesetzt, welcher auf Gartner zurückgeht. Obwohl Gartners Prognose aus dem Jahr 2020, dass bis 2024 70 % aller Planungsprojekte "xP&A"-Projekte sein werden, übertrieben war, ist die skizzierte funktionale Integration der wahrscheinlich wichtigste Trend im Bereich Planung und Forecasting.
Mit der angesprochenen Integration geht bereits eine signifikante Effizienzsteigerung einher, da der Finanz-Forecast zu großen Teilen zu einem Nebenprodukt der funktionalen Forecasts wird. Darüber hinaus ist eine sehr weitgehende Aufwandsreduzierung beim Forecast durch Automatisierung möglich. Automatisierung heißt in diesem Zusammenhang, dass für alle zu prognostizierenden Werte systemgestützt Vorschlagswerte generiert werden. Eine vollständige Automatisierung des Forecasts, wie sie im Zuge der ersten Digitalisierungswelle ab ca. 2015 greifbar schien, ist vor dem Hintergrund der vielfachen strukturellen Veränderungen der letzten Jahre und vielen "Feldversuchen" dagegen erst einmal wieder in die Ferne gerückt.
Aber auch mit einer teilweisen Automatisierung mittels Vorschlagswerten sind massive Aufwandsersparnisse möglich, da der manuelle Anteil sich auf punktuelle Eingriffe und Korrekturen reduziert. Damit kann der Aufwand für die Erstellung eines Forecasts von mehreren Wochen auf 1-2 Tage gesenkt werden. Zur Erzeugung der Vorschlagswerte reichen grundsätzlich erst einmal einfache Ansätze wie Fortschreibung der IST-Werte oder einfache Trendfortschreibungen. Erweisen sich diese als unzureichend, können auch fortschrittlichere Predictive-Analytics-Logiken herangezogen werden – z. B. das bekannte ARIMA-Modell für Zeitreihenprognosen oder auch komplexere Machine-Learning-Modelle. Abb. 5 fasst die grundlegenden Charakteristika eines modernen Forecasts zusammen.
Abb. 5: Wesentliche Charakteristika und Grundlagen eines modernen Forecasts
Um der im Forecast enthaltenen Unsicherheit gerecht zu werden, wird vermehrt auf sog. probabilistische Ansätze zurückgegriffen, die auf fortschrittlichen Statistik-Modellen (insbesondere: Bayesianische Statistik, Monte-Carlo-Simulationen sowie allgemein stochastische Modelle) beruhen. Statt eine einzelne Vorhersage zu machen, wie es bei sog. deterministischen Prognosen der Fall ist, gibt eine probabilistische Prognose die Wahrscheinlichkeitsverteilung der möglichen Ergebnisse an. Stark vereinfacht gesprochen funktioniert so ein Ansatz wie eine Wettervorhersage: "Morgen wird es eine 60 %ige Wahrscheinlichkeit für Regen geben, eine 30 %ige Wahrscheinlichkeit für bewölktes Wetter und eine 10 %ige Wahrscheinlichkeit für Sonnenschein."
Die Entwicklungen bezüglich Generativer AI in den letzten Jahren haben im Zusammenhang mit dem Forecast den Fokus auf Ergänzung quantitativer Vorhersagen durch qualit...