Leitsatz
1. Für die Berechnung der Veräußerungsfristen in § 23 EStG kommt es auf den wirksamen Abschluss der schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfte an. Dabei ist auch die Zweifelsregel in § 154 Abs. 2 BGB zu beachten. Ergibt sich aus den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls, dass sich die Parteien ohne Berücksichtigung der Schriftform wirksam binden wollten, ist § 154 Abs. 2 BGB nicht anwendbar.
2. Hat das FG sämtliche Tatsachen festgestellt und sprechen die Feststellungen nach den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen für eine bestimmte Schlussfolgerung, kann der BFH die Tatsachen ausnahmsweise selbst würdigen.
Normenkette
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7, § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG, § 154 Abs. 2 BGB, § 118 Abs. 2, § 126 Abs. 4 FGO
Sachverhalt
In tatsächlicher Hinsicht beruht die Entscheidung des BFH auf der Annahme, dass der Kläger und sein steuerlicher Berater den ab 1999 geltenden Vorrang des § 23 EStG vor § 17 EStG übersehen hatten und nach der Entdeckung ihres Irrtums versucht haben, den Akteninhalt kollusiv so zu verändern, dass der Vertrag als später geschlossen erscheinen sollte. Die Einzelheiten ergeben sich aus dem detaillierten Tatbestand des Urteils.
Entscheidung
Der BFH hat die Entscheidung des FG Düsseldorf (Urteil vom 30.1.2013, 15 K 29/10 E, Haufe-Index 4754893), wonach der Kläger den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts verwirklicht hat, danach im Ergebnis bestätigt.
Hinweis
Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass er eine Norm berührt, die in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung bislang kaum Beachtung gefunden hat: § 154 Abs. 2 BGB. Dies mag ein Grund sein, sich mit dem Fall näher zu befassen.
1. Streitig war, ob der Kläger Aktien, die er Anfang 1999 im Zuge einer Kapitalerhöhung angeschafft hatte, innerhalb eines Jahres wieder veräußert hat. Der Veräußerungsverlust wäre dann wegen der Verlustausgleichsbeschränkung in § 23 Abs. 3 Sätze 6 und 7 EStG 1999 für den Kläger "wertlos" gewesen. Der Kläger begehrte deshalb die Feststellung, dass der Verkauf erst nach Ablauf des Jahres zustande gekommen und deshalb bei den Einkünften gem. § 17 EStG zu erfassen sei.
2. Der Fall wird tatsächlich nur verständlich, wenn man ergänzend bedenkt, dass § 23 EStG bis 1998 gegenüber allen anderen Einkunftsarten subsidiär anzuwenden war. Erstmals mit Wirkung zum 1.1.1999 ist in § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG geregelt worden, dass § 17 EStG nicht anzuwenden ist, wenn die Voraussetzungen von § 23 Abs. 1 EStG vorliegen. Dies hatte der Kläger wohl übersehen.
3. Ein privates Veräußerungsgeschäft (mit Aktien) liegt vor, wenn innerhalb der Frist von einem Jahr der zweiaktige Tatbestand der Anschaffung und Veräußerung verwirklicht wird. Für die Berechnung der Frist kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des BFH auf den Abschluss der schuldrechtlichen Verträge an.
4.§ 154 Abs. 2 BGB (fehlende Beurkundung) lautet: Ist eine Beurkundung des beabsichtigten Vertrags verabredet worden, so ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen, bis die Beurkundung erfolgt ist. Die Auslegungsregel bedeutet, dass im Zweifel von einem Vertragsschluss nicht auszugehen ist, solange die vereinbarte Form nicht eingehalten ist. Hierauf berief sich der Kläger sinngemäß, indem er anführte, innerhalb des Jahres liege nur ein von ihm nicht unterschriebener Entwurf eines Kaufvertrags vor. Aus dem Vorhandensein eines schriftlichen Entwurfs ergebe sich, dass die Schriftform verabredet worden sei.
a) |
Der BFH hat geprüft, ob das FG-Urteil deshalb rechtsfehlerhaft ist, weil es gegen § 154 Abs. 2 BGB verstößt. Er hat dies jedoch im Ergebnis verneint. Ergibt sich aus den festgestellten tatsächlichen Umständen, dass trotz Nichtbeachtung der vereinbarten Form ein übereinstimmender Rechtsbindungswille vorlag, ist ein Zweifelsfall gerade nicht gegeben. |
b) |
Die vom FG festgestellten Tatsachen reichten dem BFH aus, um die fehlende Sachverhaltswürdigung ausnahmsweise selbst vorzunehmen. Der BFH war danach überzeugt, dass der Vertrag über den Verkauf der Aktien bereits 1999 wirksam zustande gekommen war. Die weder vom FG noch vom Kläger gesehene gesetzliche Auslegungsregel des § 154 Abs. 2 BGB erwies sich im vorliegenden Fall also als ein stumpfes Schwert. |
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.4.2014 – IX R 18/13