Leitsatz
Eine Prozessvollmacht ermächtigt dazu, mit einem Kostenerstattungsanspruch des Vollmachtgebers gegen die Forderung aufzurechnen, zu deren Abwehr die Vollmacht erteilt worden war. Entsprechendes gilt für die Entgegennahme einer Aufrechnungserklärung des Kostenschuldners.
Normenkette
§ 155 FGO, § 81 ZPO, § 226 AO, § 133, § 157, § 387, § 407 BGB
Sachverhalt
Eine Steuerberatungsgesellschaft hatte sich von ihrem Mandanten einen zu dessen Gunsten vom FG gegen das FA festgesetzten Kostenerstattungsanspruch aus einem Verfahren wegen eines Haftungsbescheids abtreten lassen; die dort nur gegen die Einspruchsentscheidung erhobene („isolierte”) Anfechtungsklage war erfolgreich gewesen, über das Bestehen der Haftungsschuld aber nicht entschieden worden.
Das FA erhielt von dieser Abtretung zunächst keine Kenntnis. Es erklärte vielmehr die Aufrechnung der Haftungsschuld gegen den Kostenerstattungsanspruch. Erst später erklärte die Steuerberatungsgesellschaft ihrerseits dem FA die Aufrechnung mit dem abgetretenen Kostenerstattungsanspruch gegen eigene Steuerschulden.
Das FA ist der Ansicht, dass die Steuerschulden der Klägerin nicht durch die von ihr erklärte Aufrechnung erloschen seien, da der Kostenerstattungsanspruch zuvor bereits erloschen sei. Es hat darüber einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO erlassen, der sowohl vor dem FG (EFG 2006, 1217) als auch vor dem BFH Bestand hatte.
Entscheidung
Der BFH sieht den Prozessbevollmächtigten (hier: die Steuerberatungsgesellschaft) durch die allgemeine Prozessvollmacht als ermächtigt an, einen aus dem Rechtsstreit für den eigenen Mandanten entstehenden Kostenerstattungsanspruch jedenfalls dann zur Aufrechnung zu verwenden, wenn die Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird, „in einem inneren Zusammenhang mit dem Gegenstand des Rechtsstreits” steht. Das nimmt er hier für die Haftungsforderung des FA an, auf die sich zwar die Prozessvollmacht bezog (die umfassend für die Anfechtung des Haftungsbescheids erteilt war), nicht allerdings der letztlich gestellte Klageantrag (isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung).
Hinweis
Eine Prozessvollmacht ermächtigt kraft des (allerdings disponiblen) Gesetzes zu allen Prozesshandlungen im Verhältnis zu Gericht und Gegner, die den konkreten, zwischen den in der Prozessvollmacht bezeichneten Beteiligten, schwebenden Rechtsstreit betreffen, die also dem Betrieb und der Beendigung des Rechtsstreits oder der Durchführung der Entscheidung (insbesondere im Weg der Vollstreckung) dienen.
Ist eine Aufrechnungserklärung, durch die ein Anspruch des Klägers gegen anderweitig gegen den Kläger bestehende Forderungen verrechnet wird, eine „Prozesshandlung” und dient sie noch dem Rechtsstreit, wenn der Rechtsstreit bereits beendet ist, also z.B. der Kostenerstattungsanspruch des siegreichen Klägers zur Aufrechnung verwendet wird?
Dazu ist seit langem geklärt und im Wesentlichen unstrittig, dass der Prozessbevollmächtigte ermächtigt ist, nicht nur Prozesserklärungen, sondern auch Erklärungen mit materiell-rechtlichem Gehalt abzugeben. Er kann also insbesondere -- im Prozess selbst oder außerhalb desselben -- die Aufrechnung gegen die Klageforderung erklären, um ein Unterliegen seines Mandanten in dem Rechtsstreit abzuwenden.
Aber besteht eine solche Aufrechnungsbefugnis auch noch nach siegreichem Abschluss eines Rechtsstreits? Darf der Prozessbevollmächtigte sich angesichts des Zwecks, der mit seiner Beauftragung verfolgt wird, auch dann noch zur Aufrechnung als im Interesse seines Auftrag- und Vollmachtgebers ermächtigt ansehen (obwohl dieser vielleicht lieber gegen Forderungen aufrechnen würde, von denen der Prozessbevollmächtigte gar nichts weiß)?
Der BFH hat das -- mit einer vorsichtigen und rechtslogisch nicht leicht zu erschließenden Einschränkung auf im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit stehende Forderungen -- bejaht. Er bemüht sich, dies gleichsam aus Sinn und Zweck der Prozessvollmacht herzuleiten (die freilich im Streitfall in Wahrheit zur Abwehr der Haftungsforderung erteilt war, nicht zu deren Erfüllung [durch Aufrechnung]), worüber der Leser urteilen mag.
Eine zusätzliche Bestätigung seiner Rechtsansicht sucht der BFH in § 81 letzter Halbsatz ZPO. Hier wird der Prozessbevollmächtigte zum Inkasso der Kostenerstattung ausdrücklich ermächtigt. Der BFH argumentiert, diese Regelung zeige, dass der Gesetzgeber den Umfang der Prozessvollmacht über die zum bloßen Betreiben des Rechtsstreits erforderlichen oder zweckmäßigen Rechtshandlungen hinaus ausdehnen wollte.
Indes: Ein Inkasso ist für den Mandanten schlicht vorteilhaft, eine Aufrechnung mit dem Kostenerstattungsanspruch muss dies nicht sein. Und wenn die Prozessvollmacht nach ihrem Sinn und Zweck bereits zur Aufrechnung mit einem Kostenerstattungsanspruch ermächtigen sollte, wie der BFH meint, bedurfte es dann der vorgenannten Regelung überhaupt?
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 07.08.2007, VII R 12/06