Prof. Dr. Stefan Müller, Laura Peters
4.1 Ziel und Aufbau
Rz. 12
Ziel eines Selbstratingsystems ist es, einen Überblick über das Insolvenzrisiko des eigenen Unternehmens aus Sicht eines Kreditinstituts zu erlangen. Gleichzeitig soll das System aufzeigen, in welchen kritischen Unternehmensbereichen noch Schwachpunkte bestehen. Die systematische Beschäftigung mit diesen Schwächen und deren Abbau sollten einen positiven Einfluss auf das Rating haben und allgemein helfen, das eigene Unternehmen für Kapitalgeber jeder Art attraktiver zu gestalten. Nicht zuletzt kann mithilfe des Systems der Ablauf eines bankinternen Ratings besser nachvollzogen werden, sodass vor Kreditverhandlungen entsprechende Verbesserungen umgesetzt und Unterlagen erstellt werden können.
Rz. 13
Die generelle Vorgehensweise soll am Beispiel eines entwickelten Selbstratingsystems dargestellt werden. Dieses System nutzt die in Ratingsystemen von Kreditinstituten am häufigsten verwendeten Kennzahlen, greift aber zur Bewertung nicht auf deren Datenbanken zurück, sondern verbindet die Kennzahlen mit allgemeinen betriebswirtschaftlichen Erkenntnissen. Dies ermöglicht einen Einblick in das Unternehmen unabhängig von dem Ratingsystem eines einzelnen Kreditinstituts. Allerdings wird im Ergebnis auch keine konkrete Ausfallwahrscheinlichkeit angegeben, sondern lediglich eine Tendenzaussage über die Insolvenzgefahr getroffen, was aber aufgrund der nicht zu erreichenden Allgemeingültigkeit der Risikomessung letztlich nur ehrlich ist.
Rz. 14
Die Auswahl der Kennzahlen wurde so getroffen, dass die Bewertung der Ausprägung dieser Kennzahl für ein Unternehmen logisch nachvollzogen werden kann, ohne dass jedoch der Bezug zu den in Banksystemen genutzten Kennzahlen verloren geht. Zudem wird eine nachvollziehbare Aufbereitung des Datenmaterials des Abschlusses vorgenommen und damit einerseits die Grenzen der Bilanzpolitik aufgezeigt, andererseits auf Sachverhalte hingewiesen, die ggf. in dem Jahresabschluss unvollkommen dargestellt sind. Das gesamte System hat das in Abb. 2 dargestellte Aussehen:
Abb. 2: Aufbau des Selbstratingsystems
Rz. 15
Die Bewertung der einzelnen Kennzahlen und Fragestellungen erfolgt anhand von 6 verschiedenen Risikoeinstufungen analog zum Schulnotensystem. Eine Einstufung "1" ("sehr gut") impliziert eine sehr gute Ausprägung der Kennzahl bzw. des gefragten Sachverhalts und damit ein zu vernachlässigendes Risiko, das keinen wesentlichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung hat. Die Einstufung "6" ("stark insolvenzgefährdet") dagegen wird vergeben, wenn ein Unternehmen bei einer Kennzahl bzw. Frage so schlecht abschneidet, dass aus diesem Indikator eine hohe Gefährdung des Fortbestands des Unternehmens anzunehmen ist. Dazwischen gibt es die dem Schulnotensystem entsprechenden Abstufungen. Durch die Darstellung im Schulnotensystem bekommt der Anwender des Selbstratingsystems einen einfachen Überblick über die Ergebnisse der Analyse und kann Schwachstellen unmittelbar aufspüren. Auch Zwischenergebnisse einzelner Teile sowie das Gesamtergebnis werden auf der Schulnotenskala angegeben. Hierbei kann der Anwender direkt ablesen, ob das bewertete Unternehmen eine tendenziell hohe oder eine eher geringe Insolvenzgefahr hat und somit ein gutes oder schlechtes Rating erwarten darf.
4.2 Branchenanalyse
Rz. 16
Die Branchenanalyse beinhaltet 2 verschiedene Arbeitsschritte: Zum einen sind Branchenvergleichszahlen für die im Rahmen der quantitativen Analyse zu berechnenden Kennzahlen zu generieren. Faktisch alle deutschen Kreditinstitute nutzen hierzu ihren eigenen Datenbestand an Jahresabschlüssen ihrer Kunden sowie entsprechende Branchenanalysen und nehmen eine tiefgehende Unterteilung der Branchen (bis zu 1.800 verschiedene) vor. Da mittelständische Unternehmen i. d. R. keinen Zugang zu diesen Daten haben, können sie entsprechende Vergleichswerte nur aus öffentlich zugänglichen Quellen entnehmen, also z. B. aus statistischen Datenbanken der Bundesbank oder des Statistischen Bundesamtes, über die Branchenverbände, aus entgeltlich erworbenen Branchenberichten nationaler oder internationaler Agenturen oder aus anderen Quellen. Eventuell zeigt sich auch die eigene Hausbank kooperationsbereit und stellt Werte zur Verfügung. Problematisch ist bei allen Vergleichswerten, dass die konkrete Berechnung aufgrund von anderen Kennzahlendefinitionen, Rechtsformbesonderheiten oder Wahlrechtsnutzungen sehr unterschiedlich sein kann und somit die Vergleichbarkeit erheblich eingeschränkt ist.
Rz. 17
Zum anderen besteht die Branchenanalyse in der Analyse der Unternehmensumwelt, insbesondere den Marktgegebenheiten, den politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, der Konjunktur und der technologischen Entwicklungen. Dieses Vorgehen entspricht weitestgehend der Umweltanalyse, wie sie im Rahmen der s...