Leitsatz
1. Zur Frage, welchen Anforderungen Rechnungsangaben zur Bezeichnung der Menge und der Art der gelieferten Gegenstände i.S. des Art. 226 Nr. 6 MwStSystRL genügen müssen, kann sich ein Unternehmer darauf berufen, dass die von ihm verwendeten Bezeichnungen "handelsüblich" i.S. des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG sind.
2. Die Tatsacheninstanz muss – u.U. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen – ermitteln, welche Angabe der Art der gelieferten Gegenstände unter Berücksichtigung von Handelsstufe, Art und Inhalt des Geschäftes und dem Wert der einzelnen Waren handelsüblich ist.
Normenkette
§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, Art. 226 Nr. 6 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 118 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Der Kläger betrieb im Streitjahr (2010) einen Handel mit u.a. niedrigpreisiger Bekleidung. In seinen Umsatzsteuervoranmeldungen machte er mit insgesamt 27 Rechnungen eines Lieferanten über eine Vielzahl abgerechneter Lieferungen den Vorsteuerabzug geltend. Zu den gelieferten Gegenständen waren neben Stückzahlen und Einzelpreisen die Bezeichnungen "T-Shirt", "Bluse", "Tops", "Kleid", "Hosen" usw. angegeben (teilweise mehrfach mit unterschiedlicher Anzahl und unterschiedlichem Preis pro Stück). Sonstige Belege – wie Bestellunterlagen, Lieferscheine, Korrespondenz mit den Lieferanten – liegen nicht vor.
Das FA versagte den Vorsteuerabzug, da es davon ausging, dass es sich um Scheinrechnungen handele, denen keine tatsächlichen Lieferungen zugrunde lägen.
Das Hessische FG (Hessisches FG, Urteil vom 19.6.2018, 1 K 1828/17) wies die Klage ab, da die Leistungsbeschreibungen nicht ausreichend seien. Die Identifikation von Kleidungsstücken allein über abstrakte Warenbezeichnungen sei nicht "handelsüblich".
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung mangels hinreichender Tatsachengrundlage für die getroffene Würdigung auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück. Das FG muss ermitteln, welche Bezeichnungen im Textilgroßhandel handelsüblich sind. Zudem hat es festzustellen, ob den Rechnungen ein Leistungsaustausch zugrunde lag.
Hinweis
1. In einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnung muss nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG u.a. "die Menge und die Art (handelsübliche Bezeichnung) der gelieferten Gegenstände" (oder der Umfang und die Art der sonstigen Leistung) angegeben sein. Dies soll u.a. ermöglichen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren sowie mehrfache Abrechnungen zu erkennen und zu vermeiden (vgl. EuGH-Urteil Geissel und Butin vom 15.11.2017, C-374/16 und C-375/16, EU:C:2017:867, BFH/NV 2018, 173, Rz. 41; BFH, Urteil vom 15.5.2012, XI R 32/10, BFH/NV 2012, 1836, Rz. 43).
2. Handelsüblich in diesem Sinne ist die (Sammel-)Bezeichnung, die im Geschäftsverkehr allgemein bzw. üblicherweise verwendet wird (vgl. Erkenntnis des Österreichischen VwGH vom 23.2.2005, 2001/14/0002, www.ris.bka.gv.at; Abschn. 14.5 Abs. 5 Sätze 2 und 3 UStAE). Dies hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (wie etwa der jeweiligen Handelsstufe, der Art und dem Inhalt des Geschäftes sowie dem Wert der einzelnen Waren).
3. Auch wenn in den allermeisten Fällen den Unternehmern, Steuerberatern und Finanzämtern, die im Rahmen ihrer Tätigkeit alljährlich unzählige Rechnungen zu sehen bekommen, ohne Weiteres bekannt sein dürfte, wie in einer bestimmten Branche über eine bestimmte Leistung üblicherweise abgerechnet wird, kann im Einzelfall Streit darüber entstehen, ob die gewählte Bezeichnung handelsüblich in dem unter 2. genannten Sinne ist. Behauptet der Unternehmer, die verwendete Bezeichnung sei handelsüblich, muss, wenn die übliche Bezeichnung nicht allgemein bekannt oder für das FG gerichtsbekannt ist, darüber ggf. sogar Beweis erhoben werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 10.7.2019 – XI R 28/18