Leitsatz
Bei summarischer Prüfung bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken an der Höhe des Zinssatzes für Aussetzungszinsen.
Sachverhalt
Die Antragsteller sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Gegen die Einkommensteuerbescheide der Jahre 1995 bis 2004 legten sie Einspruch ein. Dem schloss sich ein langwieriger Rechtsstreit an, der mehrfach bis zum Bundesfinanzhof ging. Während des Verfahrens war den Antragstellern teilweise bzw. zeitweise Aussetzung der Vollziehung gewährt worden. Mit Bescheid vom Mai 2018 setzte die Finanzverwaltung deshalb Aussetzungszinsen von insgesamt 61 TEUR fest. Gegen den Zinsbescheid legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung. Sie machten geltend, der Zinssatz sei verfassungswidrig. Das Finanzamt entsprach dem insofern, als die Zinsen ab 1.4. 2015 ausgesetzt wurden, wie dies dem Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 14.6.2018 entspricht. Im Übrigen lehnte das Finanzamt den Antrag ab. Die Antragsteller wandten sich sodann an das zuständige Finanzgericht Münster.
Entscheidung
Das Finanzgericht gewährte den Antragstellern teilweise weitere Aussetzung der Vollziehung. Es entschied, dass bereits für Zinszeiträume ab 1.1.2014 die Verzinsung höchstens 3% hätte betragen dürfen. Insofern bestünden hier ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts. Unstrittig sei, dass die Verzinsung nach § 237 Abs 1 AO dem Grunde nach rechtmäßig sei. Jedoch bestehen an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes für Zeiträume ab 1.1.2014 insofern erhebliche Zweifel. Dies gelte zumindest dann, wenn ein Zinssatz von mehr als 0,25% pro Monat zugrunde gelegt werde. Für die Zeiträume vor 2014 habe der BFH die Rechtmäßigkeit des normierten Zinssatzes von 0,5% pro Monat noch bestätigt, für die Zeit ab 1.4.2015 jedoch die Verfassungswidrigkeit in Zweifel gezogen. Für den hier maßgeblichen Zeitraum zwischen Januar 2014 und April 2015 bestünden ebenfalls erhebliche Zweifel. Die Erwägungen des Bundesfinanzhofs, die zur einer möglichen Verfassungswidrigkeit ab April 2015 führen, seien auf die Zeit zuvor übertragbar. Auch sei es unerheblich, dass es sich im Sacherhalt um Aussetzungszinsen gehandelt habe und nicht um einen Fall der sog. Vollverzinsung. Entgegen der Rechtsauffassung der Antragsteller sei allerdings insgesamt keine vollständige Aussetzung zu gewähren, da eine Verzinsung von 3% pro Jahr noch als verfassungsgemäß anzusehen sei.
Hinweis
Die Entscheidung zeigt die erfreuliche Tendenz, die sich in den letzten Monaten in der Rechtsprechung mehr und mehr durchgesetzt hat. Nachdem lange, wahrscheinlich angesichts der aktuellen Zinssätze an den Kapitalmärkten zu lange, durch die Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Zinssatzes von 6% bejaht wurde, hat der Bundesfinanzhof in seinem Beschluss vom 25.4.2018 (IX B 21/18, BStBl 2018 II S. 415) endlich eine Kehrtwende vollzogen und zumindest für die Zeit ab 1.4.2015 verfassungsrechtliche Bedenke gesehen. Dem ist die Finanzverwaltung mit Schreiben vom 14.6.2018 (BStBl 2018 I S. 722) gefolgt. Das Finanzgericht Münster dehnt nunmehr diesen Zeitraum bis zum 1.1.2014 aus, was zutreffend erscheint, da die Gründe, die den Bundesfinanzhof bewogen haben, eine Verfassungswidrigkeit für naheliegend zu halten, bereits in 2014 galten - und wahrscheinlich auch bereits zuvor. Allerdings vertritt das Finanzgericht Münster die Auffassung, dass ein Zinssatz von 3% p.a. noch als verfassungsgemäß anzusehen sei. Mit diesem Zinssatz von 3% greift das Finanzgericht einen Vorschlag zur zukünftigen Höhe des Zinssatzes auf, der immer wieder in die Diskussion gebracht wird. Leider hat es der Gesetzgeber bislang nicht geschafft, einen Gesetzesentwurf über die zukünftige Höhe des Zinssatzes vorzulegen. Im zentralen Steuergesetz des Jahres 2018 findet sich hierzu nichts. Dies ist als bedauerlich anzusehen. Eine zeitnahe Neuregelung ist zur Beseitigung der Unsicherheit über die Verfassungsmäßigkeit unbedingt angezeigt.
Die Entscheidung ist vorläufig nicht rechtskräftig, da das Finanzgericht die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen hat.
Link zur Entscheidung
FG Münster, Beschluss vom 31.08.2018, 9 V 2360/18 E