Leitsatz
Besteht auch nur die bloße Möglichkeit, dass das Finanzamt bei ursprünglicher Kenntnis der neuen Tatsache anders entschieden hätte, ist die für eine Anwendung der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO erforderlich Rechtserheblichkeit der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache zu bejahen, da im Zweifel von der Rechtserheblichkeit der Tatsachen auszugehen ist.
Sachverhalt
Streitig ist, ob das nachträgliche Bekanntwerden von Ausgleichszahlungen an eine Zusatzversorgungskasse, welche nach der neueren Rechtsprechung nicht der Steuerpflicht unterliegen, eine Änderung des Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO rechtfertigt. Der Arbeitgeber des Klägers behandelte die Ausgleichzahlungen der Zusatzversorgungskasse als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Da die Beträge in dem Bruttoarbeitslohn, der auf der Lohnsteuerkarte eingetragen wurde, enthalten waren, hat das Finanzamt die Beträge auch bei der Veranlagung berücksichtigt. Nachdem dem Kläger bekannt wurde, dass diese steuerliche Behandlung fehlerhaft gewesen ist, hat er die Änderung der ESt-Veranlagung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO beantragt. Im Klageverfahren trägt der Kläger gegen den Einwand der fehlenden Rechtserheblichkeit vor, das Finanzamt hätte bei rechtzeitiger Kenntnis des Sachverhalts die Ausgleichszahlungen nicht dem Lohnsteuerabzug unterwerfen dürfen.
Entscheidung
Das FG schließt sich zwar trotz einiger Bedenken der ständigen Rechtsprechung des BFH an, wonach eine Änderung nach § 173 Abs.1 Nr. 2 AO nur dann möglich ist, wenn die neue Tatsache auch rechtserheblich im Sinne dieser Rechtsprechung ist, weil es nicht Sinn und Zweck des § 173 AO sei, dem Steuerpflichtigen das Risiko eines Rechtsbehelfsverfahrens abzunehmen. Obwohl es sich nicht unmittelbar aus dem Beschluss des Großen Senats des BFH v. 23.11.1987 (GrS 1/86, BStBl 1988 II S. 180) herleiten lässt, vertritt das FG im Streitfall die Auffassung, dass nur durch die bloße Möglichkeit einer anderen Entscheidung des Finanzamts bei der ursprünglichen Veranlagung die Rechtserheblichkeit der neuen Tatsache gegeben ist. Wenn keine gefestigte BFH Rechtsprechung zu der einschlägigen Rechtsfrage existiert, reicht nur die Möglichkeit einer anderen Entscheidung seitens des Finanzamts aus. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO mit der Prüfung des Verschuldens ein weiteres Korrektiv enthält. Nach diesen Grundsätzen hat das FG die Rechtserheblichkeit der neuen Tatsache bejaht und gleichzeitig festgestellt, dass die Beweislast dafür, dass die Rechtserheblichkeit nicht gegeben ist, beim Finanzamt liegt.
Hinweis
Die von dem FG zugelassene Revision wurde eingelegt und wird beim BFH unter dem Az. VI R 40/08 geführt. Zur gleichen Problematik ist bereits eine weitere Entscheidung des FG Düsseldorf (17 K 694/07) ergangen, gegen die ebenfalls eine Revision beim BFH unter dem Az. VI R 27/08 anhängig ist. Es ist zu hoffen, dass der BFH in den anhängigen Verfahren die im Schrifttum schon mehrfach geäußerte Kritik (z.B. Loose, in: Tipke/Kruse, AO, § 173 Rn. 44, Dr. Balke, in stbg 1/2007 Seiten 1-8, Schmitt in NWB 2006 Nr. 27, Fach 2 S. 9033-9036) an dem Erfordernis der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, welches vom Wortlaut dieser Vorschrift nicht gedeckt ist, aufgreift und seine ständige Rechtsprechung insoweit ändert.
Link zur Entscheidung
FG Düsseldorf, Urteil vom 22.08.2008, 11 K 580/07 E