Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Leitsatz
Ist ein Steuerbescheid wegen eines verfassungsrechtlichen Streitpunkts vorläufig ergangen (§ 165 AO), so fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, wenn diese Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleichgelagerter Verfahren stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist.
Sachverhalt
Im Streitfall erging ein Einkommensteuerbescheid für 2008 nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 AO teilweise vorläufig. u.a. hinsichtlich
Der Steuerpflichtige legte Einspruch ein, den er nicht begründete. Im Klageverfahren wendete er sich gegen die Höhe der veranlagten Einkommensteuer 2008. Diese sei um mindestens 814 EUR zu mindern. Er habe im Streitjahr für seine Kinder 6.250 EUR Unterhalt bezahlt. Dem selbständigen Steuerbürger mit zwei unterhaltsberechtigten Kindern werde nach Abzug der Wohnkosten und der Altersvorsorge-/Krankenversicherungsaufwendungen nicht das in München notwendige Existenzminimum belassen. Sein steuerliches Existenzminimum müsse daher entweder höher sein als bei Arbeitnehmern oder seine Abzugsmöglichkeiten bei den beschränkt abzugfähigen Sonderausgaben müssten höher sein. Sollten die von ihm vorgetragenen Aspekte im Rahmen der anhängigen Verfassungsbeschwerden bereits überprüft werden, bestehe mit dem Ruhen des Verfahrens Einverständnis.
Entscheidung
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Denn es fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Steuerbescheid - wie im Streitfall - in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorläufig ergangen ist, diese Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleichgelagerter Verfahren (Massenverfahren) stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist. In diesem Fall kann ein Steuerpflichtiger im Allgemeinen die Klärung der Streitfrage in dem Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare Rechtsnachteile zu erleiden. Etwas anderes kann ausnahmsweise aber dann gelten, wenn besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend gemacht werden. Dies war im Streitfall jedoch nicht gegeben. Der Steuerpflichtige kann daher die Klärung der Streitfragen in den Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare Rechtsnachteile zu erleiden.
Hinweis
Dem Steuerpflichtigen gehen in einem solchen Fall auch keine Rechte verloren. Denn sollte aufgrund einer Entscheidung des BFH, des BVerfG oder des EuGH die Steuerfestsetzung in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben oder zu ändern sein, wird diese Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen. Der Steuerpflichtige erleidet auch keine unzumutbaren Rechtsnachteile, wenn die materiell-rechtliche Frage in dem Musterverfahren nicht in seinem Sinne oder - z. B. wegen Unzulässigkeit des Rechtsmittels, wegen Abhilfe oder wegen Rücknahme - überhaupt nicht geklärt wird. Denn er kann nach Erledigung des Musterverfahrens gemäß § 165 Abs. 2 Satz 4 AO beantragen, dass die Steuerfestsetzung für endgültig erklärt wird, und gegen die dann auch insoweit endgültige Festsetzung Einspruch einlegen und ggf. anschließend Klage zur weiteren verfassungsrechtlichen Klärung erheben. Erklärt die Finanzbehörde die vorläufige Festsetzung für endgültig oder entfällt ein Vorläufigkeitsvermerk in einem Änderungsbescheid, sind ebenfalls Einspruch und ggf. Klage möglich.
Link zur Entscheidung
FG München, Urteil vom 25.10.2012, 5 K 564/11