Prof. Dr. rer. pol. Claudia Rademacher-Gottwald
Leitsatz
Für den Filialleiter einer Bank stellen die Hauptstelle und die Filiale der Bank regelmäßige Arbeitsstätten dar, wenn der Filialleiter diese beiden Orte regelmäßig mit gewisser Nachhaltigkeit zur Erbringung von Arbeitsleistungen aufsucht. Demzufolge sind die Fahrten zwischen Hauptstelle und Filiale als Fahrten zwischen zwei Arbeitsstätten zu qualifizieren, so dass die Fahrtkosten in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten absetzbar sind. Die Abzugsbeschränkung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (Entfernungspauschale) ist auf diese Fahrten nicht anzuwenden.
Sachverhalt
Streitig war die steuerliche Beurteilung von Fahrten des Filialleiters einer Bank zwischen der Haupstelle der Bank und der Filiale. Der Filialleiter fuhr jeden Morgen mit seinem privaten Pkw von seiner Wohnung zur 5 km entfernten Hauptstelle, um dort den bankinternen Wertposttransport zu bewerkstelligen und um fachliche Rücksprachen mit den Mitarbeitern zu nehmen. Diese Tätigkeiten hatten eine zeitliche Dauer von 20-30 Minuten. Anschließend fuhr der Filialleiter mit seinem privaten Pkw zur 29 km entfernten Filiale. Nachmittags fuhr er von der Filiale zunächst wieder zur Hauptstelle und von dort nach Hause. Darüber hinaus war er zusätzlich an 23 Tagen im Jahr tagsüber in der Hauptstelle tätig. Für die Fahrten zwischen den beiden Betriebsstätten zahlte der Arbeitgeber eine Fahrtkostenerstattung, die jedoch unterhalb der Werbungskostenpauschbeträge für Dienstreisen lag. Den Differenzbetrag machte der Filialleiter in seiner Einkommensteuererklärung als Werbungskosten geltend. Bei der Berechnung ging er von den tatsächlichen Fahrtkosten aus. Das Finanzamt erkannte diese Berechnung nach Dienstreisegrundsätzen nur für die 23 Fahrten zwischen Filiale und Hauptstelle an. Bei den übrigen Fahrten handelte es sich - so das Finanzamt - ausschließlich um Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, da die Hauptstelle keine regelmäßige Arbeitsstätte sei. Die Fahrten von der Wohnung zur Hauptstelle und von dort zur Filiale seien als Umweg auf dem Weg von Wohnung zur Arbeitsstätte anzusehen. Der gegen diese Rechtsauffassung erhobene Einspruch des Filialleiters blieb ohne Erfolg.
Entscheidung
Das FG gab der Klage des Filialleiters gegen die Einspruchsentscheidung statt und erkannte die beiden Betriebsstätten der Bank als regelmäßige Arbeitsstätten an. Da der Filialleiter nicht nur seine Filiale, sondern auch die Hauptstelle regelmäßig und nachhaltig aufsuchte, um dort Arbeitsleistungen zu erbringen, sei die Hauptstelle ebenso als regelmäßige Arbeitsstätte anzuerkennen wie die Filiale. Dass die Hauptstelle täglich nur für Arbeiten von kurzer Dauer angefahren worden sei, habe auf ihre Qualifikation als regelmäßige Arbeitsstätte keinen Einfluss. Im Ergebnis handele es sich bei den Fahrten zwischen Hauptstelle und Filiale um Fahrten zwischen zwei regelmäßigen Arbeitsstätten, so dass die Fahrtkosten in tatsächlich entstandener Höhe als Werbungskosten abzugsfähig seien.
Hinweis
Arbeitnehmer, die mehr als eine regelmäßige Arbeitsstätte haben und Aufwendungen für Fahrten zwischen den Arbeitsstätten tragen müssen, können die Höhe der Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen berechnen, wenn sie glaubhaft machen können, dass sie die Arbeitsstätten jeweils zu beruflichen Zwecken aufsuchen. Dieses ist beispielsweise durch Aufzeichnungen über die verrichteten Tätigkeiten nachzuweisen. Gelingt dieser Nachweis nicht, werden die Fahrten von einer Arbeitsstätte zu nächsten als Umwegstrecken auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte qualifiziert. In diesem Fall ist der Werbungskostenabzug auf die Entfernungspauschale gem. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG beschränkt.
Link zur Entscheidung
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.03.2003, 1 K 1018/00