Leitsatz
1. Die Erteilung der Restschuldbefreiung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens stellt für die Ermittlung des Gewinns aus einer Betriebsaufgabe auch dann ein rückwirkendes Ereignis dar, wenn der Betrieb erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben worden ist (Fortführung des Senatsurteils vom 13.12.2016 ‐ X R 4/15, BFHE 256, 392, BStBl II 2017, 786).
2. Die aus der Restschuldbefreiung resultierenden Steuern sind im Fall der Betriebsaufgabe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da sie Folge der Verwaltung durch den Insolvenzverwalter sind.
Normenkette
§ 38, § 55 Abs. 1, § 286, § 300 Abs. 1 Satz 1, § 301 Abs. 1 InsO, § 174 Abs. 4, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2, § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 AO, § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger, der ein Restaurant betrieb, beantragte im Januar 2005 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Bis Ende Februar 2005 betrieb der Kläger sein Restaurant weiter, anschließend wurde es von einer bisherigen Angestellten fortgeführt. Das Insolvenzverfahren wurde im März 2005 eröffnet. Nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode erteilte das Insolvenzgericht dem Kläger zum 2011 die Restschuldbefreiung und informierte das FA als Gläubiger von der Restschuldbefreiung. Das FA erließ einen geänderten ESt-Bescheid für das Streitjahr 2005, in dem es die steuerlichen Auswirkungen der Restschuldbefreiung berücksichtigte. Der Bescheid erging an den Kläger "vor Insolvenz". Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (FG Münster, Urteil vom 8.5.2019, 9 K 1452/18 E,F,AO, Haufe-Index 13416310, EFG 2019, 1781).
Entscheidung
Die Revision führte zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung. Zwar hatte das FG materiell-rechtlich zutreffend entschieden, dass der sich aus der Restschuldbefreiung ergebende Gewinn im Streitjahr 2005 anzusetzen ist. Es fehlten aber notwendige Feststellungen des FG, wann der Betrieb aufgegeben worden ist und ob das Insolvenzverfahren bei Erlass der angefochtenen Bescheide bereits beendet war. Daher konnte der BFH nicht beurteilen, ob der ESt-Bescheid 2005 bei einer möglichen Betriebsaufgabe nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam bekannt gegeben worden ist.
Hinweis
Dieses Urteil setzt die höchstrichterliche Rechtsprechung in Bezug auf die insolvenzrechtlichen Auswirkungen eines aus einer Restschuldbefreiung resultierenden Betriebsaufgabegewinns konsequent fort.
1. Die Restschuldbefreiung betrifft die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht erfüllten Insolvenzforderungen der Insolvenzgläubiger i.S.d. § 38 InsO. Grundsätzlich werden diese Forderungen ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Restschuldbefreiung gemäß § 300 Abs. 1 Satz 1 InsO in unvollkommene Verbindlichkeiten (sog. Naturalobligationen) umgewandelt, deren Erfüllung ex nunc freiwillig möglich ist, jedoch nicht erzwungen werden kann. Betriebliche Verbindlichkeiten sind daher bis zum Eintritt der Restschuldbefreiung zum Nennwert zu passivieren.
2. Die Erteilung der Restschuldbefreiung wirkt steuerrechtlich grundsätzlich nicht zurück. Anders ist dies aber bei betrieblichen Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit einer Betriebsaufgabe. Die Befreiung von solchen Verbindlichkeiten ist auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe zurückzubeziehen.
3. Der BFH hat in dieser Entscheidung dargelegt, dass dies unabhängig davon gilt, ob die Betriebsaufgabe vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens lag. In beiden Konstellationen knüpft die mit der Restschuldbefreiung verbundene rechtserhebliche Sachverhaltsänderung an den einmaligen Vorgang der Betriebsaufgabe an und kann nicht in einer Folgebilanz oder nach den Grundsätzen des Zuflussprinzips in einem späteren VZ berücksichtigt werden. Da mit der Betriebsaufgabe die Existenz des Gewerbebetriebs endet, müssen die einkommensteuerlichen Rechtsfolgen der Ausbuchung der von der Restschuldbefreiung betroffenen betrieblichen Verbindlichkeiten zu diesem Zeitpunkt gezogen werden.
4. Auch in Bezug auf die Einordnung der Restschuldbefreiung als rückwirkendes Ereignis gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist es ohne Belang, ob die Betriebsaufgabe vor oder nach der Insolvenzeröffnung erfolgt ist.
5. Insolvenzrechtlich sowie im Hinblick auf die Adressierung eines Steueränderungsbescheids ist der Zeitpunkt der Betriebsaufgabe hingegen von größter Bedeutung.
6. Bei einer möglichen Betriebsaufgabe vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens handelt es sich bei den aus einer Restschuldbefreiung resultierenden Steuern stets um Insolvenzforderungen, die allein der Insolvenzschuldner begleichen muss. Als Konsequenz ist dann dieser der richtige Inhalts- und Bekanntgabeadressat des entsprechenden Steueränderungsbescheids, mit dem die rückwirkende Änderung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO umgesetzt wird.
7. Wenn der Betrieb nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgegeben wird, sind die sich aus der Restschuldbefreiung ergebenden Steuern Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, obwohl die Restschuldbe...