Leitsatz
Auch nach der Einfügung des Abs. 3a in § 90 EStG ist weiterhin davon auszugehen, dass die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen rechtsgrundlos geleistete Zulagebeträge nach Beendigung und Abwicklung des Altersvorsorgevertrags unmittelbar vom Zulageempfänger gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG zurückfordern kann.
Normenkette
§ 90 Abs. 3 und 3a, § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 37 Abs. 2 AO
Sachverhalt
Die Klägerin hatte einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag abgeschlossen. Aufgrund der Angaben des Anbieters, der wie in den Vorjahren davon ausgegangen war, dass die Klägerin auch in den Streitjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert gewesen sei, zahlte die ZfA in den Streitjahren 2017 und 2018 Zulagebeträge, die der Anbieter an die Klägerin weiterleitete. Eine spätere Überprüfung der ZfA (§ 91 EStG) ergab, dass die Klägerin in den Streitjahren nicht zulageberechtigt gewesen ist. Deshalb forderte die ZfA die Zulagen i.H.v. 766,16 EUR von der Klägerin zurück. Die Klage blieb ohne Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.4.2021, 15 K 15171/20, Haufe-Index 15956063, EFG 2021, 2040).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die ZfA war berechtigt, von der Klägerin die für die Beitragsjahre 2017 und 2018 gewährten Zulagen entsprechend § 37 Abs. 2 Satz 1 AO (i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG) zurückzufordern.
Hinweis
1. Berechtigte aus einem zertifizierten Altersvorsorgevertrag ("Riester"-Vertrag) erhalten gemäß §§ 79ff. EStG eine staatliche Altersvorsorgezulage (jährlicher Grundbetrag bis 2017: 154 EUR; ab 2018: 175 EUR).
Erkennt die ZfA nachträglich, dass der Zulageanspruch ganz oder teilweise nicht bestanden hat oder weggefallen ist, hat sie die zu Unrecht gutgeschriebene oder ausgezahlte Zulage bis zum Ablauf eines Jahres nach der Erkenntnis zurückzufordern und dies dem Anbieter durch Datensatz mitzuteilen (§ 90 Abs. 3 Satz 1 EStG). Bei bestehendem Vertragsverhältnis hat der Anbieter das Konto des Zulageberechtigten zu belasten (§ 90 Abs. 3 Satz 2 EStG). Voraussetzung für die Rückforderung über den Anbieter ist folglich ein bestehendes Vertragsverhältnis.
2. Ist der Altersvorsorgevertrag bereits beendet, scheidet eine Rückforderung nach § 90 Abs. 3 EStG aus.
In einem solchen Fall kann die ZfA gleichwohl rechtsgrundlos geleistete Zulagebeträge vom Zulageempfänger nach § 37 Abs. 2 AO zurückfordern. Denn gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 EStG sind auf Zulagen und Rückzahlungsbeträge die für Steuervergütungen geltenden Vorschriften der AO entsprechend anzuwenden. Der X. Senat hat bereits entschieden, dass die speziellen Regelungen in § 90 Abs. 3 EStG einen Rückgriff auf § 37 Abs. 2 AO nicht ausschließen (BFH, Urteil vom 9.7.2019, X R 35/17, BFH/NV 2019, 1176, BStBl II 2019, 668).
Offen gelassen hatte der X. Senat in dem genannten Urteil allerdings, ob der Gesetzgeber mit dem durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz vom 17.8.2017 (BGBl I 2017, 3214) mit Wirkung ab dem 1.1.2018 eingefügten § 90 Abs. 3a EStG abschließend geregelt hat, wann eine Rückforderung beim Zulageempfänger möglich sein soll, mit der Folge, dass ein Rückgriff auf die allgemeinere Vorschrift des § 37 Abs. 2 AO nicht mehr zulässig wäre (BFH, Urteil vom 9.7.2019, X R 35/17, BFH/NV 2019, 1176, BStBl II 2019, 668, Rz. 21).
3. An diese Rechtsprechung hat der X. Senat mit dem vorliegenden Urteil angeknüpft und entschieden, dass auch § 90 Abs. 3a EStGkeine abschließende Sonderregelung für die Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Zulagen enthält. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung des § 90 Abs. 3a EStG und wird durch die Gesetzeshistorie und den Sinn und Zweck der Regelung bestätigt.
Denn das Erfordernis der Rückforderung von zu Unrecht gezahlten Zulagen ist in dem dreistufigen Ablauf des Zulageverfahrens angelegt:
- Auf der ersten Stufe ermittelt die ZfA in einem weitestgehend automatisierten Zulageverfahren aufgrund der von ihr erhobenen oder der ihr übermittelten Daten ohne Prüfung von deren Richtigkeit, ob und in welcher Höhe ein Zulageanspruch besteht (§ 90 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die ZfA veranlasst bei Bestehen eines solchen Anspruchs die Auszahlung an den Anbieter zugunsten des Zulageberechtigten. Dabei steht die Mitteilung des Ermittlungsergebnisses (§ 90 Abs. 1 Satz 1 EStG) an den Anbieter kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
- Erst auf der zweiten Stufe sieht § 91 EStG ausdrücklich ein Verfahren der "Überprüfung der Zulage" vor. Das Ergebnis dieses Datenabgleichs kann eine Rückforderung der bereits ausgezahlten Zulage vom Anbieter ebenfalls durch Datensatz zur Folge haben (§ 90 Abs. 3 EStG).
- Auf der dritten Stufe hat der Zulageberechtigte dann die Möglichkeit, durch besonderen Antrag eine förmliche Festsetzung der Zulage zu erreichen (§ 90 Abs. 4 EStG).
Daran wird deutlich, dass die Vorläufigkeit der Ermittlung der Zulage auf der ersten Stufe und die spätere Überprüfung mittels des in § 91 EStG vorgesehenen Datenabg...