Leitsatz
Bei einer im Zusammenhang mit der "Rückgängigmachung" eines Erwerbsvorgangs erfolgenden Weiterveräußerung des Grundstücks ist die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG auf den ursprünglichen Erwerbsvorgang ausgeschlossen, wenn dem Ersterwerber die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem ursprünglichen Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben war, der Ersterwerber diese Rechtsposition im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung auch tatsächlich ausgeübt und hierbei im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse gehandelt hat. Das Handeln des Ersterwerbers "im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse" ist für sich allein kein Tatbestandsmerkmal, das die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ausschließt.
Normenkette
§ 16 Abs. 1 GrEStG
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb im Dezember 1994 ein Grundstück und wurde dafür durch Bescheid vom Mai 1995 zur Grunderwerbsteuer herangezogen. Da sie den Kaufpreis nicht aufbringen konnte, trat der Verkäufer im November 1995 vom Vertrag zurück. Eine Woche später vereinbarten die Klägerin und der Verkäufer die Aufhebung des Vertrags. In derselben Urkunde veräußerte der Verkäufer das Grundstück an einen Dritten.
Die Klägerin beantragte nunmehr, den Bescheid vom Mai 1995 gem. § 16 Abs. 1 GrEStG aufzuheben. Das FA lehnte den Antrag ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg, da die Klägerin maßgeblichen Einfluss auf die Veräußerung des Grundstücks an den Dritten genommen habe.
Entscheidung
Die Revision der Klägerin hatte dagegen Erfolg. "Rückgängig gemacht" ist ein Erwerbsvorgang erst dann, wenn sich die Vertragspartner auch tatsächlich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit der Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt.
Der Veräußerer erlangt seine ursprüngliche Rechtsstellung nicht wieder, wenn der Erwerber trotz der formellen Aufhebung des Vertrags die Möglichkeit der Verfügung über das Grundstück behält. Eine dem Erwerber verbliebene Rechtsposition kann auch unabhängig von dem zivilrechtlich beseitigten Anspruch auf Grundstücksübereignung bestehen geblieben sein, so etwa im Zusammenhang mit einer fehlenden vollständigen Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts (z.B. Löschung einer Auflassungsvormerkung zugunsten des Erwerbers oder Übergang von Besitz, Nutzungen und Lasten auf den Veräußerer).
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn im Zusammenhang mit der "Rückgängigmachung" des Erwerbsvorgangs eine erneute Veräußerung des Grundstücks erfolgt. Dann ist die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ausgeschlossen, wenn der Erwerber im Zusammenhang mit der erneuten Veräußerung a) seine Rechtsposition tatsächlich verwertet und b) dabei im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse gehandelt hat.
Eine im eigenen Interesse liegende Einflussnahme des Erwerbers auf die erneute Veräußerung lässt die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG somit nur entfallen, wenn die Einflussnahme als Ausfluss der dem Erwerber verbliebenen Rechtsposition zu beurteilen ist. Übt der Erwerber bei der erneuten Veräußerung eine ihm aus dem Erwerbsvorgang verbliebene Rechtsposition tatsächlich nicht aus – so etwa bei der "Auswechselung" des Käufers allein auf Grund des Verlangens des Verkäufers nach Stellung eines Ersatzkäufers – steht dies einer Rückgängigmachung im Sinn des § 16 Abs. 1 GrEStG nicht entgegen.
Wegen unzureichender Feststellungen wurde die Sache zurückverwiesen.
Hinweis
Die Aussage, wonach die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG in den Fällen, in denen die "Rückgängigmachung" im (zeitlichen) Zusammenhang mit der Wiederveräußerung an einen Dritten steht, nicht schon dann ausgeschlossen ist, wenn die Veräußerung an den Dritten im Interesse des Ersterwerbers liegt, stellt die Finanzämter vor eine schwierige Aufgabe. Sie müssen prüfen, ob dem Erwerber aus dem ursprünglichen Erwerbsvorgang trotz Aufhebung des Rechtsgeschäfts noch eine Rechtsposition verblieben ist, durch deren Ausübung er im eigenen Interesse Einfluss auf die erneute Veräußerung nehmen konnte. Wie diese Rechtspositionen beschaffen sein müssen, lässt sich nicht abstrakt umschreiben. Der BFH nennt zwei Beispiele, nämlich eine fortbestehende Vormerkung sowie andauernden Besitz. Künftig wird eine Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs in größerer Zahl anzuerkennen sein, weil es den Finanzämtern vielfach nicht gelingen wird, eine solche verbliebene Rechtsposition zu benennen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.3.2003, II R 12/01