Dipl.-Kfm. Hans-Joachim Rux
3.1 Grundsätzliches
Rz. 30
Stille (verdeckte) Rücklagen, auch stille Reserven genannt, sind – wie ihre Bezeichnung schon aussagt – nicht aus der Bilanz ersichtlich. Sie entstehen
- durch (zulässige) Unterbewertung von Aktiva (z. B. Anlagevermögen) oder
- durch (zulässige) Überbewertung von Passiva (z. B. Rückstellungen),
- durch Nichtaktivierung von aktivierungsfähigen Vermögensgegenständen (z. B. geringwertige Wirtschaftsgüter),
- durch Unterlassen von möglichen Zuschreibungen (z. B. Beibehaltung eines niedrigeren Wertansatzes bei Wegfall der Gründe, die zu dem niedrigeren Wertansatz geführt haben, Beibehaltungswahlrecht bei Finanzanlagen).
Damit klassifizieren sich stille Rücklagen wie folgt:
(a) |
Stille Zwangsrücklagen (auch gesetzliche stille Rücklagen) Sie entstehen durch die Anwendung und Einhaltung gesetzlicher Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften. Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten bilden die Obergrenze der Bewertung von Vermögensgegenständen. Sofern die Zeitwerte über die Anschaffungs- oder Herstellungskosten steigen, dürfen höhere Werte nicht angesetzt und ausgewiesen werden; es entstehen stille Reserven (Beispiel: Grundstücksbewertung). |
(b) |
Stille Schätzungsrücklagen Sie entstehen durch Schätzungsfehler. Durch die zu kurze Schätzung der Nutzungsdauer von Vermögensgegenständen werden die Abschreibungsbeträge zu hoch bemessen und damit die Gegenstände unterbewertet. |
(c) |
Stille Ermessensrücklagen Sie entstehen durch das dem Bilanzierenden eingeräumte Ermessen, unterschiedliche Wertansätze aufgrund von Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten auszusuchen (Aktivierungswahlrecht, Abschreibungsmethoden, Berechnung der Herstellungskosten). |
Rz. 31
Die Auflösung stiller Reserven erfolgt entweder automatisch durch den betrieblichen Umsatzprozess (Realisation bei Veräußerung unterbewerteter Vermögensgegenstände oder Zeitablauf bei Nutzung abgeschriebener Vermögensgegenstände) oder durch die bewusste Ablösung von überbewerteten Passivposten und die Aufwertung unterbewerteter Aktivposten.
3.2 Stille Rücklagen nach dem BilMoG
Rz. 32
Eine der Zielsetzungen des BilMoG ist die Verbesserung der Aussagekraft des handelsrechtlichen Jahresabschlusses. Wirtschaftspolitisch begründete steuerliche Bewertungsvorschriften sollen nicht mehr die Aussagekraft handelsrechtlicher Jahresabschlüsse beeinträchtigen, d. h., steuerliche Bilanzierungsvorschriften sollen handelsrechtlich unbeachtlich sein. Durch das BilMoG wurde § 247 Abs. 3 HGB aufgehoben, auch gilt die "umgekehrte Maßgeblichkeit" nicht mehr. Zwar können durch das grundsätzliche Festhalten am Anschaffungskostenprinzip stille Zwangsrücklagen weiterhin das Handelsbilanzbild beeinflussen, die verbleibenden steuerlichen Bewertungsregeln wirken grundsätzlich jedoch nicht mehr verzerrend auf das handelsrechtliche Bilanzbild ein.
Die Aufgabe der "umgekehrten Maßgeblichkeit", verbunden mit einer Änderung des § 5 Abs. 1 EStG, führt zu einer Abkoppelung des Steuerrechts von der Handelsbilanz. Steuerpolitisch bzw. subventionspolitisch motivierte steuerliche Bewertungsregeln (Abschreibungen, Rücklagenbildung) führen weiterhin zu "stillen Reserven", bleiben aber ohne Einfluss auf die Handelsbilanz.