Dr. Birger Brandt, Prof. Jürgen Brandt
Leitsatz
Der Steuerpflichtige kann die Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG, die er für den Gewinn aus der Veräußerung eines bebauten Grundstücks gebildet hat, rückwirkend aufstocken, wenn sich der Veräußerungspreis in einem späteren Veranlagungszeitraum erhöht.
Normenkette
EStG § 6b , AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Sachverhalt
Der gewerblich tätige und bilanzierende Kläger veräußerte 1980 ein Betriebsgrundstück, auf dem ein Baumarkt betrieben wurde, zur städtebaulichen Sanierung an die Gemeinde. Diese verpflichtete sich auch für ihren Rechtsnachfolger, für die Dauer von 15 Jahren auf dem Grundstück keine Baustoffhandlung und keinen Baumarkt mit mehr als 300 qm Verkaufsfläche zu errichten oder zu betreiben und für den Fall der Zuwiderhandlung eine Vertragsstrafe von 500 000 DM zu zahlen.
In Höhe des Buchgewinns aus dem Verkauf bildete der Kläger eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG. Nach Sanierung verkaufte die Gemeinde das Grundstück, das im Streitjahr an einen Unternehmer vermietet wurde, der darauf u.a. einen Baumarkt betrieb. In dem daraufhin wegen der Vertragsstrafe geführten Zivilrechtsstreit schlossen Kläger und Gemeinde mit Rücksicht auf kartellrechtliche Bedenken gegen die Vertragsstrafenvereinbarung einen gerichtlichen Vergleich, mit dem der Kaufpreis "rückwirkend" um 400 000 DM erhöht und die Wettbewerbsklausel aufgehoben wurde. FA und FG berücksichtigten die Kaufpreisänderung nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO für die Bemessung der Rücklage nach § 6b EStG im Jahre 1980, sondern als weiteren gewerblichen Gewinn bei der ESt-Veranlagung 1987.
Entscheidung
Die auf Grund der Vertragsänderung als Kaufpreiserhöhung geleistete Zahlung ist auch steuerrechtlich als zusätzliches Entgelt für die Grundstücksübertragung und nicht als Ausgleich (Schadenersatz) für Anlaufverluste oder als Entgelt für den Verzicht auf die Wettbewerbsklausel zu werten, weil der Kläger bei Festhalten an dem ursprünglichen Vertrag nach gerichtlich bestätigter Rechtswidrigkeit der Vertragsstrafenregelung und daraus nach § 139 BGB folgender Unwirksamkeit des ge-samten Vertrags keine vertraglichen Ansprüche mehr hätte gelten machen können und die Gemeinde unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Wertsteigerung Ersatz für das von ihr weiterveräußerte Grundstück hätte leisten müssen. Mit der Vereinbarung des erhöhten Kaufpreises haben die Beteiligten diese Nachteile vermieden mit der Folge, dass der Veräußerungspreis um den entsprechenden Teil höher anzusetzen ist.
Folgerichtig ist im selben Umfang die – 1980 gebildete – Rücklage nach § 6b EStG aufzustocken, weil die Vertragsänderung im Februar 1987 als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu beurteilen ist, das den Veräußerungsgewinn im Wirtschaftsjahr der Veräußerung beeinflusst. Dieser Veräußerungsgewinn, bis zu dessen Höhe die Rücklage möglich ist, muss für den Zeitpunkt der Veräußerung ermittelt werden, weil die gesetzliche Regelung die Wirksamkeit der schuldrechtlichen Vereinbarungen und deren vereinbarungsgemäße Abwicklung unterstellt.
Trifft aber dieser Ausgangspunkt nicht zu und legen die Beteiligten – wie im Streitfall – deshalb später wegen Unwirksamkeit des Kaufvertrags den Kaufpreis neu fest, muss diese Änderung – vor allem im Hinblick auf die mit § 6b EStG bezweckte Erleichterung von Reinvestitionen (BFH-Urteile vom 19.3.1981, IV R 167/80, BFHE 133, 54, BStBl II 1981, 527; vom 7.7.1992, VIII R 24/91, BFH/NV 1993, 461) – im Weg der Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO rückwirkend auf den Zeitpunkt der Veräußerung auch auf Ersatzwirtschaftsgüter übertragen werden können. Denn eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG darf nur im Wirtschaftsjahr der Veräußerung gebildet werden und der Veräußerungsgewinn ist gemäß § 6b Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG lediglich auf Ersatzwirtschaftsgüter übertragbar, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach der Veräußerung angeschafft oder hergestellt werden. Diese Rückbeziehung der Kaufpreiserhöhung auf den Veräußerungszeitpunkt widerspricht nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung, insbesondere nicht dem sog. Realisationsprinzip. Als spezialgesetzliche Regelung haben die Bestimmungen des § 6b EStG Vorrang (vgl. BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).
Hinweis
Der für die Rücklage nach § 6b Abs. 3 Satz 1 EStG maßgebliche – bei der Ermittlung des Gewinns anzusetzende – Veräußerungspreis wird bestimmt durch das vertraglich vereinbarte Entgelt und etwaige Leistungen, die der Erwerber als Gegen-leis-tung für den Erwerb des Wirtschaftsguts zu erbringen hat.
Kein Teil der Gegenleistung ist eine Entschädigung, die der Steuerpflichtige nicht für das hingegebene Grundstück, sondern anlässlich der Veräußerung zum Ausgleich eines anderweitigen Nachteils erzielt (BFH-Urteil vom 11.7.1973, I R 140/71, BFHE 110, 248, BStBl II 1973, 840). Änderungen des Veräußerungspreises sind als auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirkende Ereignisse anzusehen, die zu einer Änderung der ESt-Bescheide fü...