Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Die Anwendung des durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform mit Wirkung zum 01.08.1997 von 30 Mio. DM auf 15 Mio. DM herabgesetzten Höchstbetrags für außerordentliche Einkünfte auf eine Anteilsveräußerung im August 1997 verletzt nicht in unzulässiger Weise Vertrauensschutzinteressen des Veräußerers.
Normenkette
§ 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des UntStRFoG
Sachverhalt
K veräußerte mit notariellem Vertrag vom 25.08.1997 seine Anteile von 65 % an der R-GmbH mit Wirkung zum 01.09.1997. Dem vorausgegangen war die Unterzeichnung eines "Memorandum of Understanding" (MOU) am 04.06.1997, das diverse Veräußerungsmodalitäten enthielt. In der ESt-Erklärung 1997 erklärte der Kläger einen Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der R-GmbH i.H.v. 16 425.917 DM.
Das FA unterwarf diesen Gewinn im ESt-Bescheid für das Streitjahr bis zur Höhe von 15 000 000 DM einem ermäßigten Steuersatz von 26,375 % und besteuerte den darüber hinausgehenden Betrag mit dem allgemeinen Steuersatz. Einspruch und Klage hiergegen blieben ohne Erfolg. Das FG (FG München, Urteil vom 16.03.2006, 5 K 3605/04, Haufe-Index 1505570, EFG 2006 979) ging davon aus, dass der am 04.06.1997 abgeschlossene MOU noch zu einer wirtschaftlichen Disposition des K geführt hatte. Es begründe noch keine Verpflichtung zum nachfolgenden Vertragsabschluss. Es handle sich nicht um einen Vorvertrag, der einklagbare Pflichten begründe.
Entscheidung
Der BFH pflichtete dieser Entscheidung bei. Es liege keine unzulässige Rückwirkung vor: Das Vertrauen des K ist nicht schutzwürdig. Denn die mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs erreichte Öffentlichkeit einer geplanten Gesetzesänderung bewirkte im Streitfall der Beschluss des Vermittlungsausschusses am 04.08.1997. K hat die für die Anteilsveräußerung maßgebliche wirtschaftliche Disposition aber erst am 25.08.1997 getroffen, da das MOU vom 04.06.1997 noch keine vertragliche Bindung bewirkte. Auch fehlen Anhaltspunkte dafür, dass das wirtschaftliche Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) an den veräußerten Anteilen bereits früher als zum 01.09.1997 – wie vom FG festgestellt – übergegangen wäre.
Die insoweit maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des FG (vgl. § 118 Abs. 2 FGO) zum MOU waren möglich und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere der Vertragsauslegung durch das FG pflichtete der BFH bei. Sie folgt schon aus den Ziff. 15, 16 und 18 des MOU: In Ziff. 15 ist als "Tag des Closings" der 01.09.1997 oder "das (spätere) Datum des Eintritts der letzten aufschiebenden Bedingung" vorgesehen. Nach Ziff. 16 hängt der "Vollzug des Kaufs" von diversen notwendigen Zustimmungen und Genehmigungen, um die sich die Vertragspartner nach Ziff. 18 "unmittelbar nach Unterzeichnung dieses MOU" erst noch bemühen müssen, sowie dem Abschluss verschiedener weiterer Vereinbarungen ab. Vor allem aber haben die Parteien nach Ziff. 21 des MOU bis zum Abschluss des Anteilskaufvertrags, des Beratervertrags und der Mietverträge und des Eintritts der aufschiebenden Bedingungen "keinerlei rechtliche Verpflichtungen und Rechte nach diesem MOU gegeneinander". Sie verzichten darauf, Schadenersatzansprüche, Ansprüche auf Kosten und Auslagen sowie von sonstigen Ansprüchen im Zusammenhang mit diesem MOU geltend zu machen.
Hinweis
Veräußert K Ende August 1997 seine wesentliche Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, fragt sich, ob die ab dem 01.08.1997 geltende und damit rückwirkende Herabsetzung des Höchstbetrags gem. § 34 Abs. 1 EStG anwendbar war.
1. Der Höchstbetrag für den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG (halber durchschnittlicher Steuersatz) galt erstmals ab dem VZ 1990, und zwar i.H.v. 30 Mio. DM. Dieser Höchstbetrag wurde nach dem Beschluss des Vermittlungsausschusses vom 04.08.1997 zum 01.08.1997 auf 15 Mio. DM herabgesetzt, nachdem der Entwurf des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform die Tarifermäßigung für außerordentliche Einkünfte nicht angetastet hatte. Dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses folgten Bundestag (Beschluss vom 05.08.1997) und Bundesrat (Beschluss vom 05.09.1997). Das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform wurde am 29.10.1997 ausgefertigt und am 31.10.1997 verkündet (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928).
2. Liegt hierin nun eine verfassungsrechtlich problematische Rückwirkung und ist das Vertrauen des K schutzwürdig?
Nach dem Beschluss des BVerfG vom 07.07.2010, 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06 (BFH/NV 2010, 1968, BFH/PR 2010, 413) wirken Änderungen von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum und damit noch vor Entstehen der ESt (§ 38 AO, § 36 Abs. 1 EStG) mit dem Ablauf des VZ (§ 25 Abs. 1 EStG) lediglich unecht zurück und sind deshalb nicht per se unzulässig.
Der Normadressat muss aber auch dann eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Im Rahmen dieser A...