Leitsatz
Das rückwirkende In-Kraft-Treten des § 34 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24.3.1999 zum 1.1.1999 ist jedenfalls insoweit verfassungsgemäß, als hiervon Entschädigungen erfasst werden, die zu einem Zeitpunkt vereinbart wurden, in dem die beabsichtigte Gesetzesänderung bekannt war.
Normenkette
Art. 20 GG , § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG , § 24 Nr. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
Sachverhalt
Der Antragsteller war Geschäftsführer einer GmbH. Im Zusammenhang mit der Auflösung seines Dienstverhältnisses wurde am 3.3.1999 vereinbart, den Pensionsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung von ca. 660?000 DM abzulösen. Für den am 10.3.1999 zugeflossenen Betrag beantragte er bei der Veranlagung für 1999 die Besteuerung mit dem halben Steuersatz gem. § 34 EStG in der bis 1998 geltenden Fassung (EStG a.F.), weil die Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG n.F. erst mit Gesetz vom 24.3.1999 (in Kraft getreten am 1.4.1999) eingeführt worden sei. Die im Gesetz angeordnete Rückwirkung sei verfassungswidrig.
Das FA wandte hingegen die Fünftelregelung an; eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1999 lehnte es ab. Auch das FG lehnte den Antrag auf AdV ab, ließ aber die Beschwerde an den BFH zu.
Entscheidung
Der BFH wies die Beschwerde des Antragstellers als unbegründet zurück.
Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des rückwirkenden In-Kraft-Tretens des § 34 EStG n.F. bestünden wegen des sog. "Ankündigungseffekts" nicht. Die angeordnete Rückwirkung sei eine sog. unechte bzw. eine tatbestandliche Rückanknüpfung. Diese sei gerechtfertigt, weil angesichts der bereits Ende 1998 bekannten änderungsabsichten des Gesetzgebers für den Antragsteller kein Vertrauensschutz mehr bestand.
Hinweis
1. Die in § 52 Abs. 47 EStG n.F. angeordnete rückwirkende Anwendung des § 34 EStG n.F. für den VZ 1999 beinhaltet eine sog. unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung. Die nachteilige Rechtsfolge – Wegfall der Besteuerung mit dem halben Steuersatz und Anwendung der sog. Fünftelregelung – wird auf einen Zeitraum vor der Verkündung des Gesetzes erstreckt. Dies ist dann zulässig, wenn das Vertrauen der Steuerpflichtigen in den Fortbestand der bisherigen Gesetzeslage zurückzutreten hat hinter das Interesse des Staates an der änderung des Gesetzes. Das hat der BFH hier bejaht.
2. Das Interesse des Gesetzgebers an der Neufassung des § 34 EStG war deshalb hoch einzuschätzen, weil er damit einen seit Jahren bekannten Missstand beseitigen wollte, was aus Gründen der steuerlichen Belastungsgleichheit auch verfassungsrechtlich geboten war.
§ 34 EStG a.F. wollte mit dem halben Steuersatz den Progressionsnachteil abmildern, der sich durch einen zusammengeballten Zufluss von außerordentlichen Einkünften ergeben konnte. Das führte allerdings bei Steuerpflichtigen, die wegen ihres hohen "regulären" Einkommens bereits dem höchsten Steuersatz unterlagen, zu ungerechtfertigten Steuervorteilen. Zur Abhilfe dieser unerwünschten Rechtsfolge war dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum einzuräumen.
Das Interesse des Antragstellers an dem Fortbestand der alten Regelung war demgegenüber geringer einzustufen, weil sein Vertrauen im Zeitpunkt seiner Disposition (Vereinbarung der Aufhebung der Pensionszusage gegen Abfindung) nicht mehr von Verfassungs wegen geschützt war.
Der Stand des Gesetzgebungsverfahrens zur änderung des § 34 EStG a.F. war zum Zeitpunkt der Vereinbarung (3.3.1999) bereits weit fortgeschritten. Die erste Lesung im Bundestag hatte im November 1998 stattgefunden und noch vor Ende 1998 hatten Finanz- und Haushaltsausschuss den Gesetzentwurf beraten. Schon vorher war in den Medien über das Gesetzesvorhaben berichtet worden. Angesichts dieser allgemein bekannten änderungsabsichten (sog. "Ankündigungseffekt") bestand kein Vertrauensschutz mehr dahingehend, dass die Neuregelung nicht bereits für den VZ 1999 gelten sollte.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 27.8.2002, XI B 94/02