Leitsatz
1. Die Wärmeenergie verselbständigt sich zu einem eigenen Wirtschaftsgut, wenn sie über Wärmemengenzähler bestimmungsgemäß an Abnehmer geliefert oder für private Zwecke verbraucht wird.
2. Der private Verbrauch selbst erzeugter Wärmeenergie ist keine mit den tatsächlichen Selbstkosten anzusetzende Nutzungsentnahme, sondern eine nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbsatz 1 EStG mit dem Teilwert zu bewertende Sachentnahme.
3. Die (Wieder‐)Herstellungskosten sind auch bei sog. Kuppelerzeugnissen tauglicher Maßstab zur Bestimmung des Teilwerts. Als Teilwert ist jedoch der Veräußerungspreis anzusetzen, wenn sich für Erzeugnisse gleicher Art und Güte ein niedrigerer Marktpreis gebildet hat.
Normenkette
§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 und Nr. 4 Satz 1, Abs. 7 Nr. 2, § 4 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 EStG, § 10a GewStG, § 40 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Die klagende Ehegatten-GbR betrieb ein Blockheizkraftwerk mit Biogasanlage, in der Gülle aus dem landwirtschaftlichen Betrieb des Ehemanns verwertet wurde. Den erzeugten Strom lieferte die GbR vollständig ins öffentliche Netz. Die anfallende Abwärme wurde teilweise zum Preis von 0,02521 EUR/kWh an einen Verwandten geliefert und im Übrigen zur Beheizung des eigenen Wohnhauses der Ehegatten genutzt.
Während das FA bei Erlass der Gewinnfeststellungsbescheide für die Streitjahre 2013 und 2014 der Meinung war, in der Einnahmen-Überschussrechnung der GbR sei für die Entnahme von Wärme ein bundeseinheitlicher Durchschnittspreis für Fernwärme von 0,07 EUR/kWh anzusetzen, hielt die GbR den Preis für die verkaufte Abwärme für den richtigen Entnahmewert.
Im Streit um die umsatzsteuerliche unentgeltliche Wertabgabe kam es zu einem rechtskräftigen FG-Urteil, wonach die Wärme mit den Selbstkosten je kWh von 0,0664 EUR (2013) bzw. 0,1333 EUR (2014) anzusetzen sei (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 9.2.2017, 1 K 755/16, Haufe-Index 10712192, EFG 2017, 945). Im hiesigen Rechtsstreit um die Gewinnfeststellungen und gewerbesteuerlichen Verlustvorträge folgte das FG hingegen der Ansicht der GbR, dass der Teilwert der Entnahme dem marktgerechten Einzelveräußerungspreis von 0,02521 EUR/kWh entspreche (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 9.5.2017, 5 K 841/16, Haufe-Index 11003385, EFG 2017, 1454).
Entscheidung
Die Revision des FA hatte nur in Bezug auf einen gewerbesteuerlichen Verlustvortrag aus verfahrensrechtlichen Gründen Erfolg. Der BFH teilte die Auffassung des FG, dass es sich bei der Entnahme von Wärmeenergie um eine Sachentnahme handele, weil Wärme mit dem Inverkehrbringen zu einem eigenständigen Wirtschaftsgut werde. Die Entnahme dieses Wirtschaftsguts sei mit den Reproduktionskosten, höchstens jedoch mit dem Marktpreis zu bewerten, den das FG revisionsrechtlich bindend festgestellt habe.
Hinweis
1. Das Urteil klärt die bislang offene Frage, ob die private Nutzung betrieblich erzeugter Wärme eine Sach- oder Nutzungsentnahme ist. Der BFH entscheidet sich für eine Sachentnahme, weil er Wärmeenergie als Wirtschaftsgut ansieht, wenn sie über Zähler gemessen und eigenständig gehandelt wird. Ob und in welchem Umfang das Trägermedium der Wärmeenergie (z.B. Flüssigkeit, Gas) daneben als weiteres Wirtschaftsgut anzusehen ist, war im Urteilsfall ohne Bedeutung, sodass der BFH dazu nicht Stellung genommen hat.
2. Die Entnahme eines Wirtschaftsguts ist anders zu bewerten als eine Nutzungs- oder Leistungsentnahme. Letztere ergibt sich aus den Selbstkosten, während die Sachentnahme mit dem Teilwert bewertet wird. Bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens bestimmt sich der Teilwert nach den Reproduktionskosten, höchstens jedoch dem Marktpreis. Wird Wärmeenergie zu Kosten erzeugt, die unter dem Marktpreis liegen, sind bei einer Entnahme deshalb nur die eigenen Reproduktionskosten anzusetzen und nicht – wie hier die Finanzverwaltung meinte – der höhere Marktpreis.
3. Bei der Ermittlung der Reproduktionskosten von in einem Blockheizkraftwerk erzeugter Wärme ergibt sich das Problem, dass mit der Anlage gleichzeitig Strom und Wärme erzeugt werden, die Kosten der Energieerzeugung also auf zwei Produkte entfallen (sog. Kuppelproduktion). Die Produktionskosten müssen im Wege der Schätzung auf beide Produkte verteilt werden, wobei verschiedene Schätzungsmethoden diskutiert werden. Der BFH musste sich dazu im hiesigen Urteil nicht äußern, weil der Marktpreis jedenfalls niedriger war als die nach jeder denkbaren Methode ermittelten anteiligen Reproduktionskosten.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 12.3.2020 – IV R 9/17