Leitsatz
1. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG räumt dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit nur die Befugnis ein, innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten abweichend von den Vorschriften der AO über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden einer anderen Familienkasse zu übertragen.
2. Für die örtliche Zuständigkeit gilt der Grundsatz der Gesamtzuständigkeit, d.h. die Zuständigkeit umfasst grundsätzlich alle Verwaltungstätigkeiten der Finanzbehörde, die sich aus dem gesamten Besteuerungsverfahren ergeben (Festsetzung, Rechtsbehelfsverfahren, Erhebung und Vollstreckung). Eine abweichende Regelung über die örtliche Zuständigkeit setzt daher eine Übertragung der Gesamtzuständigkeit für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten voraus.
3. Werden für bestimmte Gruppen von Berechtigten nur einzelne Sachaufgaben von der örtlich und damit gesamtzuständigen Familienkasse auf eine andere Familienkasse oder Behörde übertragen, betrifft dies den Gegenstand und Inhalt der der Finanzbehörde zugewiesenen Aufgaben und damit eine Frage der sachlichen Zuständigkeit.
4. Werden in einem Besteuerungsverfahren von vorneherein unterschiedliche Behörden im Ausgangs- und im Rechtsbehelfsverfahren tätig, ist die dagegen gerichtete Klage nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 FGO gegen die Ausgangsbehörde zu richten.
Normenkette
§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 FVG, § 16, § 17, § 125 Abs. 1, § 127, § 222 Satz 1 AO, § 63 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Der Kläger bezog Kindergeld für seine Tochter. Die Familienkasse NRW D hob die Kindergeldfestsetzung auf und forderte das überzahlte Kindergeld i.H.v. 5.464 EUR zurück. Über den dagegen eingelegten Einspruch hat sie noch nicht entschieden.
Die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service Familienkasse erklärte sich mit einer Rückzahlung in Raten einverstanden. Einen späteren Stundungsantrag lehnte sie ab. Den gegen die Stundungsablehnung an die Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service gerichteten Einspruch wies die Familienkasse NRW A als unbegründet zurück.
Das FG gab der Klage insoweit statt, als der Kläger die Aufhebung der Stundungsablehnung und der Einspruchsentscheidung begehrte. Den Antrag, die Agentur für Arbeit Z Inkasso-Service zur Gewährung der beantragten Stundung zu verpflichten, wies das FG als unbegründet ab (FG Düsseldorf, Urteil vom 14.5.2019, 10 K 3317/18 AO, Haufe-Index 13318644).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Familienkasse, der das BMF beigetreten ist, als unbegründet zurück, weil die Ablehnung der Stundung sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung von sachlich unzuständigen Behörden erlassen wurden.
Hinweis
Die Finanzverwaltungen der Länder haben aufgrund der Ermächtigung in § 17 Abs. 2 FVG Finanzämter mit Sonderzuständigkeiten (z.B. für Verkehrssteuern oder Steuererhebung) eingerichtet (vgl. auch § 12 Abs. 3 FVG zu Sonderzuständigkeiten eines HZA).
Die das steuerliche Kindergeld verwaltende Bundesagentur für Arbeit hat gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Satz 4 FVG einzelnen Familienkassen Sonderzuständigkeiten z.B. für Fälle mit Auslandsberührung zugewiesen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 19.1.2017, III R 31/15, BStBl II 2017, 642, BFH/PR 2017, 230). Die in der Rechtsprechung der FG umstrittene Frage, ob diese Vorschrift auch die Ausgliederung von Aufgaben im Erhebungsverfahren (hier: Stundung) erlaubt, hat der BFH im Besprechungsurteil verneint.
1. Die sachliche Zuständigkeit beschreibt den Tätigkeitsbereich einer Behörde, also die Zuordnung einer bestimmten Aufgabe des materiellen Sachrechts an eine Verwaltungseinheit. Aus der sachlichen Zuständigkeit folgen das Recht und die Pflicht einer Behörde, innerhalb des ihr zugewiesenen Aufgabenbereichs tätig zu werden. Eine Behörde ist nur für den ihr zugewiesenen Aufgabenkreis zuständig und darf nur im Rahmen ihrer sachlichen Zuständigkeit tätig werden. Die sachliche Zuständigkeit muss wegen des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und als wesentliche Regelung des Verwaltungsverfahrens in einem grundrechtlich geschützten Bereich – wie hier im Familienleistungsausgleich – durch Gesetz i.S.d. § 4 AO geregelt werden.
2. Die örtliche Zuständigkeit regelt, welche von mehreren sachlich zuständigen Behörden der gleichen hierarchischen Stufe eines Verwaltungsträgers die Verwaltungstätigkeit durchzuführen hat. Sie beinhaltet die Kompetenz, in einem räumlich begrenzten Bezirk tätig werden zu dürfen und zu müssen, wobei sich die konkret örtlich zuständige Finanzbehörde erst anhand der Regelungen über den Sitz und den Bezirk der jeweiligen Finanzbehörden feststellen lässt.
3. Für die örtliche Zuständigkeit gilt nach neuerer Rechtsprechung des BFH der Grundsatz der Gesamtzuständigkeit (BFH, Urteil vom 19.3.2019, VII R 27/17, BStBl II 2020, 31, Rz. 18). Umfasst werden daher grundsätzlich alle Verwaltungstätigkeiten der Finanzbehörde, die sich aus dem gesamten...