Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
1. Ob ein mechanisches Versehen die Ursache für einen unterbliebenen Nachprüfungsvorbehalt war und dieser ggf. wegen offenbarer Unrichtigkeit nachgeholt werden kann, ist anhand der objektiven Umstände beim Erlass des betroffenen Steuerbescheids zu beurteilen.
2. Indizieren die bekannten objektiven Umstände ein mechanisches Versehen und ist ein Fehler bei der Rechtsanwendung oder der Sachverhaltsermittlung oder -würdigung ausgeschlossen, kann eine offenbare Unrichtigkeit ohne weitere diesbezügliche Sachaufklärung nicht allein deshalb verneint werden, weil die abstrakte Möglichkeit besteht, dass die Indizien erst nach Erlass des Bescheids geschaffen wurden.
Normenkette
§ 129, § 164 Abs. 1 und 2 AO, § 76 Abs. 1, § 118 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Auf der Grundlage der im Rahmen einer Außenprüfung getroffenen Prüfungsfeststellungen erließ das FA einen auf § 164 Abs. 2 AO i.V.m. § 129 AO gestützten Änderungsbescheid, mit dem die Einkünfte entsprechend höher festgestellt wurden, obwohl der ursprüngliche Bescheid keinen Nachprüfungsvorbehalt enthielt.
Den Einspruch, mit dem die Klägerin die rechtliche Möglichkeit einer Änderung der Einkünftefeststellung bestritt, wies das FA als unbegründet zurück. Die Änderung des ursprünglichen Feststellungsbescheids vom 26.9.2003 sei nach § 129 AO zulässig gewesen. Der fehlende Nachprüfungsvorbehalt im ursprünglichen Bescheid sei eine offenbare Unrichtigkeit; aus einer Aktennotiz der Sachbearbeiterin (auf einem der Feststellungserklärung angehefteten Notizzettel) und der Speicherung des Steuerfalls als Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung im "Veranlagungsspiegel" werde deutlich, dass die Sachbearbeiterin den Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung habe erlassen wollen; die Möglichkeit eines Rechtsirrtums sei ausgeschlossen.
Das FG gab der Klage statt (FG Düsseldorf vom 1.2.2010, 11 K 5113/08 F, Haufe-Index 2316352, EFG 2010, 838). Es verneinte eine offenbare Unrichtigkeit mit der Begründung, dass die in der Akte befindliche Durchschrift des Bescheids keinen Nachprüfungsvorbehalt enthielt und damit der eigentliche Wille des FA nicht hinreichend zum Ausdruck komme. "Aus Gründen der Rechtssicherheit" sei zu verlangen, dass das Versehen des FA zumindest so deutlich zutage trete wie im Falle der abgehefteten Durchschrift des Steuerbescheids mit Nachprüfungsvorbehalt in den Steuerakten: Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass ein angeblich mechanisches Versehen nachgeschoben werde, ohne dass sicher verifizierbar sei, ob es tatsächlich vorlag. Dieser Befund gehe nach Beweislastgrundsätzen zulasten des FA. Die Speicherung der streitbefangenen Feststellung im "Veranlagungsspiegel" – als unter Vorbehalt der Nachprüfung stehend – müsse als nur verwaltungsinterner, nicht nach außen in Erscheinung tretender Umstand bei der Prüfung einer offenbaren Unrichtigkeit unbeachtlich bleiben.
Entscheidung
Auf die Revision des FA hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Das FG hätte nicht nur auf die Durchschrift des Bescheids in den Steuerakten abstellen dürfen, sondern alle Umstände, auch diejenigen EDV-technischer Natur, in seine Beurteilung einbeziehen müssen.
Die Sache sei nicht entscheidungsreif. Auch wenn die festgestellte Eintragung im Veranlagungsspiegel geeignet erscheine, eine offenbare Unrichtigkeit bei Erlass des fraglichen Bescheids zu indizieren, sei eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich. Das FG habe nicht festgestellt, wer die Eintragungen im Veranlagungsspiegel vorgenommen habe und ob dies "beim Erlass" des Bescheids geschehen sei. Es habe auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob diese Eintragungen automatisch (programmgesteuert) erfolgten, was prima facie gegen die Möglichkeit einer Abweichung des bekannt gegebenen Bescheids vom Inhalt des Veranlagungsspiegels sprechen würde, oder ob die Eintragungen im Veranlagungsspiegel im Streitfall (noch) persönlich vorgenommen worden sind.
Bei verbleibenden Ungewissheiten werde das FG bei seiner erneuten Entscheidung ggf. zu klären haben, ob der Vermerk auf dem der Feststellungserklärung angehefteten Notizzettel bei Erlass des ursprünglichen Bescheids oder aber erst danach gefertigt wurde.
Hinweis
1. Weist der dem Steuerpflichtigen bekannt gegebene Steuerbescheid den vom FA beabsichtigten Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO)versehentlich nicht aus, kann der Bescheid in diesem Punkt wegen einer offenbaren Unrichtigkeit nach § 129 AO korrigiert werden, wenn die unterbliebene Aufnahme des Vorbehalts in dem Steuerbescheid auf einem mechanischen Fehler – ähnlich den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Schreib- und Rechenfehlern – beruht; das ist der Fall, wenn der bekannt gegebene Inhalt des Verwaltungsakts aus Versehen vom offensichtlich gewollten materiellen Regelungsinhalt abweicht und die Möglichkeit eines Tatsachen- oder Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder unvollständiger Sachverhaltsaufklärung ausgeschlossen werden kann.
2. Darauf, ob der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit anhand de...