Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Rücknahme des vom Finanzamt vor der Durchführung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen in ein Grundstück des Steuerpflichtigen gestellten Insolvenzantrags
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Steuerpflichtige hat einen Anspruch nach § 114 Abs. 1 FGO auf Anordnung der Rücknahme eines vom Finanzamt gestellten Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn ein Insolvenzgrund nicht vorliegt oder der Insolvenzantrag trotz Bestehens eines Eröffnungsgrundes unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft ist.
2. Die Entscheidung des Finanzamts, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, ist nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung ermessensfehlerhaft, wenn es nicht alle entscheidungserheblichen Umstände in seine Abwägung einbezogen und die wirtschaftlichen Folgen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Hinblick auf die besonderen Umstände des Einzelfalles nicht ausreichend gewürdigt hat. Hiervon ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige zusammen mit seiner Ehefrau je zur Hälfte Eigentümer eines vor ca. 20 Jahren mit einer Grundschuld belasteten Grundstücks ist und das Finanzamt zwar mehrere Zwangssicherungshypotheken auf das Grundstücks hat eintragen lassen, jedoch nicht gepüft hat, ob und in welcher Höhe die der Grundschuld zugrunde liegende Forderung noch offen ist, und von der Einzelvollstreckung in das unbewegliche Vermögen mit der Begründung abgesehen hat, die Zwangssicherungshypotheken seien nachrangig zu dem Grundschuldeintrag und nach Aufteilung der rückständigen Einkommensteuerschulden auf den Steuerpflichtigen und dessen Ehefrau würden die Sicherungshypotheken und die Schuldnerschaft nicht mehr übereinstimmen.
Normenkette
AO §§ 5, 249, 251; FGO §§ 102, 114 Abs. 1 S. 1, Abs. 3; InsO §§ 17, 19
Tenor
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers (12 IN 1560/11) zurückzunehmen.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes, den Antragsgegner zur Rücknahme eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verpflichten.
Der Antragsgegner hat am 23. Mai 2011 beim zuständigen Insolvenzgericht die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers beantragt. Ein Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist noch nicht ergangen. Als Schuldgrund wurden die rückständige Einkommensteuer 2006, 2007 und Einkommensteuervorauszahlung für das 4. Quartal 2010 sowie rückständige Umsatzsteuer 2007, 2008, 2009 und aus den Voranmeldungszeiträumen 2. Quartal 2009 bis 4. Quartal 2010 mit einem Gesamtbetrag von 11.083,30 Euro angegeben. Der größte Betrag entfiel auf die älteste Schuld, die Einkommensteuer 2006 (2.238,43 Euro). Am 24. Mai 2011 verrechnete der Antragsgegner eine Zahlung der Ehefrau des Antragstellers in Höhe von 2.543,96 Euro u.a. auf die Einkommensteuerschuld 2006.
Vollstreckungsversuche vor Stellung des Insolvenzantrages in das bewegliche Vermögen des Antragstellers blieben erfolglos. Zur Sicherung seiner Steuerschulden ließ der Antragsgegner vier Zwangssicherungshypotheken auf dem dem Antragssteller und seiner Ehefrau zu je einhalb gehörenden Grundstück eintragen. Diese beliefen sich auf 15.535,74 Euro. Von der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen sah der Antragsgegner ab, da den Sicherungshypotheken ein Grundschuldeintrag in Höhe von 65.300 DM (= 33.387,36 Euro) voranstünde und nach Aufteilung der Einkommensteuerschulden auf den Antragsteller allein die Sicherungshypotheken und die Schuldnerschaft nicht mehr übereinstimmen würden.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2011 beantragte der Antragsteller den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückzunehmen. Im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens seien seine beruflichen Chancen unwiederbringlich zerstört sowie seine Existenz vernichtet. Der Antragsgegner wisse, dass eine die Kosten des Verfahrens deckende Insolvenzmasse nicht vorhanden sei.
Der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen zurückzunehmen.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzuweisen.
Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ermessensfehlerfrei gestellt worden sei. Die Steuern seien fällig und vollstreckbar. Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Stellung des Insolvenzantrages ermessensfehlerhaft gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.
Die Entscheidung des Antragsgegners beim zuständigen Amtsgericht zu beantragen, über das Vermögen des Antragstellers das Insolvenzverfahren zu eröffnen, ist ermessensfehlerhaft und desh...