Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Beweislastumkehr betreffend den streitigen Eingang eines Einspruchsschreibens bei der Behörde bei pflichtwidriger Vernichtung und Einscannung der vom Gericht angeforderten Originalakten der Behörde nach Klageerhebung durch die Behörde und bei vom Einspruchsführer unterlassener Nachreichung eines Ausdrucks des Einspruchsschreibens sowie einer eidesstattlichen Versicherung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei fehlendem Zugang eines Einspruchsschreibens bei der Behörde kommt eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist in Betracht, wenn feststeht, dass das Schreiben tatsächlich abgefasst und zur Post aufgegeben wurde. Der Einspruchsführer trägt die Feststellungslast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer rechtzeitigen Einspruchseinlegung sowie auch einer etwaigen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, verbleibende Ungewissheiten gehen daher zu seinen Lasten.
2. Eine Beweislastumkehr für den streitigen Zugang des Einspruchsschreibens kommt auch dann nicht in Betracht, wenn die beklagte Behörde zwar nach Klageerhebung und nach Anforderung der in Papierform geführten Originalakten durch das Gericht die Originalakten eingescannt, vernichtet und dem Gericht nur noch eingescannte, die Feststellung des genauen Ablaufs des Verwaltungsverfahrens anhand des Aktenbestandes nicht mehr ermöglichende Unterlagen übermittelt und dem Verfahren mit der Vernichtung der Originalakten erhebliche Erkenntnisunterlagen entzogen hat, wenn der Einspruchsführer jedoch trotz entsprechender Ankündigung weder einen Abdruck des streitigen Einspruchsschreibens noch eine eidesstattliche Versicherung betreffend die Umstände der Einspruchseinlegung vorgelegt und somit ebenfalls nicht wie geboten zur Aufklärung beigetragen hat.
Normenkette
FGO § 71 Abs. 2, § 96 Abs. 1 S. 1; AO § 355 Abs. 1 S. 1, § 357 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 110 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist der Zugang eines Schreibens bei der Beklagten.
Die Klägerin erhielt Kindergeld für ihre Tochter F., geboren am 20. Oktober 1988. F. absolvierte bis zum Sommersemester 2013 ein Studium. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. April 2013 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung ab Januar 2011 auf und verwies zur Begründung auf fehlende Nachweise. Zwischen den Beteiligten ist im Streit, ob die Klägerin mit Schreiben vom 3. Mai 2013 hiergegen Einspruch einlegte. In der vorgelegten Aktenkopie ist ein solches Schreiben nicht enthalten. Dokumentiert ist dort der Eingang eines auf den 6. Juni 2013 datierten Schreibens der Klägerin am 11. Juni 2013. In diesem Schreiben erklärte die Klägerin die Einspruchseinlegung und nahm Bezug auf eine Mahnung vom 29. Mai 2013 zur Rückforderung aus dem Aufhebungsbescheid. Ergänzend teilte die Klägerin mit, sie habe bereits am 3. Mai 2013 alle angeforderten Unterlagen an die Beklagte gesandt. Offenbar sei das Schreiben nicht dort angekommen. Sie füge nochmals alle Unterlagen bei. Die Beklagte wies den Einspruch als unzulässig zurück. Er sei verfristet und eine Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht, denn der Bescheid habe eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung enthalten.
Die Klägerin trägt vor, sie habe unter dem 3. Mai 2013 Einspruch eingelegt und die Einspruchsschrift noch am selben Tag zur Post gegeben. Das Schreiben werde als Anlage beigefügt, eine eidesstattliche Versicherung werde nachgereicht. Die Anlage ist nicht vorhanden, die eidesstattliche Versicherung hat die Klägerin nicht übergeben. Für den Eingang des Schreibens – so die Klägerin – müsse von einer Beweislastumkehr ausgegangen werden. Die Originalakte sei nicht mehr vorhanden, sondern nur eine Anzahl von Kopien, deren Vollständigkeit nicht überprüft werden könne. Sofern das Schreiben nicht zugegangen sei, sei jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gewesen.
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebungsbescheid vom 23. April 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. August 2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin habe weder das Schreiben vom 3. Mai 2013 noch einen Nachweis für dessen Aufgabe zur Post vorgelegt. Auch sei es üblich, zu Einsprüchen eine Eingangsbestätigung zu versenden. Eine solche sei lediglich zum Einspruch vom 6. Juni 2013 vorhanden. An der Würdigung in der Einspruchsentscheidung werde festgehalten. Die Aktenübergabe an das Gericht sei ordnungsgemäß erfolgt. Insbesondere sei es zulässig, elektronische Akten zu übermitteln. Die „qualifizierte Signatur” am oberen rechten Rand des gescannten Papierdokuments diene als Nachweis für einen ordnungsgemäßen Scanvorgang und dokumentiere die „Unverfälschtheit der Quelle (Papierdokument) in einem signierten elektronischen Abbild”. Die übergebenen Dokumente seien aufgrund der Signatur und Überführungsdokumentation „beweisfest”.
Die gerichtliche Aktenanforderung ist der Be...