Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtswidrigkeit der Übertragung der örtlichen Zuständigkeit für Einspruchsentscheidungen im Bereich der Erhebung von Kindergeld auf die Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord durch den Beschluss 21/2013 des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit vom 8.4.2013 (dort unter Ziff. 2.3 Satz 1). Aufhebung der von der örtlich unzuständigen Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord getroffenen Einspruchsentscheidung über den Erlass von Kindergeld nach Aufhebung der Kindergeldfestsetzung durch eine andere Familienkasse
Leitsatz (redaktionell)
1. Der nach § 155 Abs. 4 AO auch im Bereich des Kindergelds sinngemäß anzuwendende § 19 AO regelt nur die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörden für die „Besteuerung” gemäß dem vierten Teil der Abgabenordnung (§§ 134 ff. AO), also für das Festsetzungs- und nicht auch für das Erhebungsverfahren (§§ 218 ff. AO), zu dem auch das Erlassverfahren nach § 227 AO gehört.
2. Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit war nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 4 FVG befugt, isoliert die Zuständigkeit für Einspruchsentscheidungen bezüglich Kindergeld im Erhebungsverfahren (hier: Erlassverfahren nach § 227 AO) auf die Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord und damit auf eine Familienkasse zu übertragen, die den zu erhebenden Kindergeldanspruch bzw. Kindergelderstattungsanspruch nicht festgesetzt hat (hier: Beschluss des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit 21/2013 v. 8.4.2013, Ziff. 2.3 Satz 1).
3. Daher ist eine von der (örtlich unzuständigen) Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord getroffene negative Entscheidung über den Erlass von Kindergeld rechtswidrig und aufzuheben, wenn für die Festsetzung bzw. die im Streitfall zugrunde liegende Aufhebung der Kindergeldfestsetzung eine andere Familienkasse (im Streitfall: Familienkasse Sachsen) örtlich zuständig war und ist; § 127 AO steht dem nicht entgegen.
Normenkette
EStG § 31 S. 3; FVG § 5 Abs. 1 Nr. 11 Sätze 1-2, 4; AO §§ 17, 19 Abs. 1, § 155 Abs. 4, § 218 Abs. 1 S. 2, §§ 227, 367 Abs. 1, § 5; FGO § 101
Nachgehend
Tenor
Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 22.06.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.08.2017 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Unter dem 02.02.2017 beantragte die Klägerin bei der Familienkasse Sachsen der Bundesagentur für Arbeit den Erlass einer von dieser mit Rückforderungsbescheid vom 28.12.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.04.2017 festgesetzten Erstattung von Kindergeld für ihre am 30.11.1994 geborene Tochter L.. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse der Agentur für Arbeit R. mit Bescheid vom 22.06.2017 ab. Den dagegen eingelegten Einspruch der Klägerin vom 21.07.2017 wies die Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord der Bundesagentur für Arbeit mit Einspruchsentscheidung vom 24.08.2017 als unbegründet zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 22.09.2017 Klage erhoben.
Die Klägerin habe Erlassantrag bei der Familienkasse Sachsen gestellt. Weshalb durch eine Familienkasse eines anderen Bundeslandes entschieden worden sei, erschließe sich nicht. Vorsorglich werde gerügt, dass die Erlassentscheidung durch eine unzuständige Stelle getroffen worden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten über die Ablehnung des Erlasses vom 22.06.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.08.2017 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur örtlichen Zuständigkeit werde mitgeteilt, dass die Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord seit der bundesweiten Neuorganisation der Familienkassen im Mai 2013 bundesweit zuständig für alle Inkasso-Verfahren sei. Daher sei sowohl die Erlassablehnung vom 22.06.2017 als auch die Einspruchsentscheidung vom 24.08.2017 durch die Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord erfolgt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nach entsprechendem Hinweis (§ 76 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO –) gemäß dem sich aus ihrer Klagebegründung von vorneherein ergebendem Klagebegehren, dass nicht durch die Beklagte sondern durch die Familienkasse Sachsen über ihren Erlassantrag entschieden werden soll, die Aufhebung der Erlassentscheidung der Beklagten in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 40 Abs. 2 FGO) beantragt hat, hat sie ihre Klage nicht eingeschränkt sondern sachdienlich konkretisiert.
Die (ablehnende) Erlassentscheidung der Beklagten in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist aufzuheben, weil sie rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO).
1. Zutreffend macht die Klägerin geltend, dass die beklagte Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord örtlich...