Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit eines geschätzten Einkommensteuerbescheids mit einer Steuerfestsetzung von 0 Euro bei bewusster genereller Nichtberücksichtigung negativer Einkünfte
Leitsatz (redaktionell)
Hat der Steuerpflichtige in den Vorjahren erhebliche Werbungskostenüberschüsse bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erzielt und ergibt sich aus den Finanzamtsakten, dass auch im Streitjahr eine erhebliche Restwertabschreibung nach § 4 Abs. 3 FördergebietsG vorzunehmen ist, so ist ein wegen Nichtabgabe der Steuererklärung geschätzter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie die Einkommensteuer aufgrund von Verlustvorträgen aus den Vorjahren jeweils mit 0 Euro festgesetzt worden sind, nichtig, wenn bei dem FA bei einer Schätzung generell und prinziell keine negativen Einkünfte angesetzt und damit bei der Schätzung bewusst und zum Nachteil des Steuerpflichtigen nicht alle ersichtlichen Umstände (hier: die auch im Streitjahr abzuziehende Restwertabschreibung) berücksichtigt werden.
Normenkette
AO § 162 Abs. 1 Sätze 1-2, § 125 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4; FördG § 4 Abs. 3
Tenor
Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 25.08.2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.12.2009 wird die Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheides 2004 vom 29.01.2009 festgestellt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Nichtigkeit eines Schätzungsbescheides, mit dem die Einkommensteuer 2004 gegen die Kläger auf Null festgesetzt wurde.
Die Kläger sind Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Nachdem sie ihre Einkommensteuererklärung 2004 nach Fristverlängerung und Erinnerung bis dahin nicht abgegeben hatten, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Einkommensteuer 2004 mit Bescheid vom 29.01.2009 auf 0 Euro fest. Geschätzt wurden Einkünfte aus selbständiger Arbeit des Ehemannes i.H.v. 75.000 Euro, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Ehemannes i.H.v. 49.080 Euro und der Ehefrau i.H.v. 22.080 Euro, Einkünfte aus Kapitalvermögen des Ehemannes i.H.v. 100 Euro und der Ehefrau i.H.v. 2.308 Euro sowie Einkünfte des Ehemannes aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 0 Euro. In den Vorjahren waren erhebliche negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt worden, 2003 insgesamt i.H.v. 98.278 Euro, die im Wesentlichen auf den Kläger entfallen waren. Vom für 2004 insgesamt geschätzten Gesamtbetrag der Einkünfte i.H.v. 148.568 Euro wurde ein Verlustvortrag in gleicher Höhe abgezogen. Ebenfalls unter dem 29.01.2009 erging gegen die Kläger der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zur Einkommensteuer zum 31.12.2004 unter Berücksichtigung des Verlustabzuges im Einkommensteuerbescheid 2004. Die Bescheide über Einkommensteuer 2004 und über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrages zum 31.12.2004 ergingen jeweils ohne Vorbehalt der Nachprüfung.
Am 02.04.2009 reichten die Kläger ihre Einkommensteuererklärung 2004 ein, mit der sie insgesamt negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 94.390 Euro geltend machen, die im Wesentlichen auf den Ehemann entfallen. Mit Schreiben vom 17.04.2009 lehnte der Beklagte die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2004 ab. Unter dem 31.07.2009 beantragten die Kläger, die Einkommensteuer 2004 entsprechend der eingereichten Steuererklärung festzusetzen, da der Schätzungsbescheid vom 29.01.2009 nichtig sei. Mit Bescheid vom 25.08.2009 lehnte der Beklagte die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2004 wegen Nichtigkeit ab.
Am 27.09.2009 legten die Kläger Einspruch gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des Einkommensteuerbescheides 2004 ein. Die Schätzung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 0 Euro sei offensichtlich unzutreffend sowie bewusst und willkürlich zum Nachteil der Kläger erfolgt. Ab 2003 beruhten die erheblichen Verluste aus der Vermietung zweier Immobilien durch die Kläger insbesondere auf der Vornahme von Restwertabschreibungen gem. § 4 Abs. 3 Fördergebietsgesetz – FördG –. Nach dieser Vorschrift sei der Restwert in gleichen Jahresbeträgen abzusetzen, ohne dass insoweit ein Wahlrecht bestehe und ausgeübt werden müsse. Die Restwertabschreibungen betrügen bis einschließlich 2005 jeweils 82.268 Euro. Diese Beträge hätten sich aus den vom Finanzamt zu führenden Überwachungsbögen ergeben müssen. Die Einnahmen sowie die übrigen Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung hätten anhand der Vorjahreserkenntnisse geschätzt werden können.
Mit Einspruchsentscheidung vom 08.12.2009 wies der Beklagte den Einspruch als unbe...